Rainer Gross
Melancholie: Psychiatrische, psychoanalytische und kulturgeschichtliche Aspekte (eines Konzepts)
Vortrag

Dr. med. Rainer Gross
In seinem Vortrag widmet sich der Wiener Psychiater und Psychoanalytiker Rainer Gross der Geschichte des Melancholie-Konzepts: In der Renaissance wurde Melancholie mit Nachdenklichkeit und Sensibilität assoziiert und galt als distinktionsfördernde Charakteristik der Künstler:innen und Philosoph:innen. Siegmund Freud unterschied in „Trauer und Melancholie“ 1917 zwischen normaler Trauer und krankhafter Schwermut, die er als Melancholie bezeichnete.
Heute jedoch scheint kein Platz mehr für die „edle Schwermut“. In einer Welt, die ständiges Wachstum und unerschütterlichen Optimismus verlangt, wird Melancholie als hinderlich betrachtet – und doch könnte sie mehr sein: ein stiller Widerstand gegen den Zwang zur Selbstoptimierung, eine Reflexion über das Verlorene. Vielleicht liegt in ihr nicht nur Trauer, sondern auch die Kraft zur Veränderung. Judith Butler sprach von der „verwandelnden Wirkung des Verlustes“: einer Melancholie, die nicht nur zurückblickt, sondern neue Wege eröffnet.
In einer Zeit, in der Utopien verblassen, könnte die Melancholie eine Brücke sein – zwischen Erinnerung und Hoffnung. Genau dieses Verständnis von Melancholie wird auch in der Ausstellung Future of Melancholia gespiegelt.
Künstler:innen
Teilnehmende Künstler:innen
Dr. Med. Rainer Gross
ist Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin und Psychotherapeut, Psychoanalytiker (WPV/IPA). Nach der Promotion zum Dr. med. absolvierte er seine Facharztausbildung am LKNK Gugging und war von 1998 bis 2015 Primärarzt der sozialpsychiatrischen Abteilung am LK Hollabring. Seit 2016 ist er in seiner Privatpraxis in Wien (Psychoanalyse, Lehrtherapien und Supervision) und als Lehrtherapeut für psychoanalytisch orientierte Psychotherapie an der Wiener Psychoanalytischen Akademie in Wien tätig. Neben zahlreichen Fachartikeln hat er vier Publikationen zu den Arbeitsbereichen und Themen des Psychotherapeuten im Film, der Arbeit, der Heimat und der Einsamkeit herausgegeben.

Dr. med. Rainer Gross