Rose-Anne Gush
Surrealismus aus einer globalen Perspektive
Vortrag

Dr. Rose-Anne Gush
‘When men [sic] die, they enter into history. When statues die, they enter art’. On the political aesthetics of anti-colonial and anti-fascist surrealism [1]
Rose-Anne Gushs Vortrag untersucht die politische Ästhetik des Surrealismus und dessen oft antikoloniale und antifaschistische Tendenzen anhand von künstlerischen Positionen und Praktiken in Belgrad, Paris und Martinique (1920 – 1960). Dabei stellt sie die Frage, wie surrealistische Arbeiten – von Chris Markers und Alain Resnais‘ Film Les Statues Meurent Aussi (1953, Statuen sterben auch) bis hin zu weniger bekannten antikolonialen und antifaschistischen Archiven – die gewalttätigen Ungleichheiten und Krisen der kapitalistischen Moderne verkörperten und noch immer materialisieren. Vor dem Hintergrund katastrophaler globaler Kriege, Massenvertreibungen, Hungersnöte und rassistisch motivierter Verfolgung – Kräfte, die inmitten des Zusammenbruchs historischer Imperien, der Dekolonisierung, der Entstehung neuer Nationalstaaten und der Bewegung der Blockfreien Staaten (NAM) Grenzen neu gezogen haben – verfolgt sie die These, dass der radikale Formalismus des Surrealismus die Zeitlichkeit und Dialektik ungleicher Entwicklungen inkorporiert. Gush geht es also darum, aufzuzeigen, dass der Surrealismus dazu in der Lage war, die Zeitlichkeit von Modernität insofern neu zu verorten, als dass die sogenannte Zweite Welt, in der sich auch das ehemalige Jugoslawien befand, nicht als weniger modern zu betrachten, als etwa surrealistische Produktionsorte wie Paris, die Stadt, die schlechthin als Zentrum der Moderne gefasst wurde. Sie argumentiert, dass es sich beim Surrealismus tatsächlich um eine transnationale Bewegung handelte, die das Selbstverständnis der Moderne so auch in Ansätzen hinterfragt.
Durch den Fokus auf die Verortung von Künstler:innen, transnationalen Netzwerken und Institutionen respektive Institutionalisierungen (einschließlich Museen als Orten kolonialer Macht und Ambivalenz) wird in diesem Vortrag die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts neu betrachtet und eine Methodologie vorgeschlagen, die Kunst sowohl als Symptom als auch als Akteur innerhalb von Kämpfen der ersten Hälfte bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts versteht, die aus dem Dualismus von Zentrum und Peripherie hervorgehen. Dabei wird sie darlegen, dass eben sogenannte Zentren der Moderne im kunsthistorischen Kanon in der Regel überpräsentiert wurden, während die Peripherie oft übersehen wurde. Dieser blinde Fleck soll aber viel näher betrachtet werden: Durch eine genaue Analyse von ästhetischen buttom-up Strategien zeigt Gush, wie die surrealistische Praxis die räumliche Logik des Imperiums, der Nation und ihrer Grenzen destabilisiert und gleichzeitig emanzipatorische Horizonte eröffnet hat.
[1] Chris Marker & Lauren Ashby, ‘The Statues Also Die’, in Art in Translation, 5:4 (2013), p. 431.
Künstler:innen
Teilnehmende Künstler:innen
Rose-Anne Gush
ist Schriftstellerin, Kunsthistorikerin und Assistenzprofessorin am IZK – Institut für Zeitgenössische Kunst der TU Graz. Ihre Forschungsinteressen umfassen politische Ästhetik und Theorien der „globalen Kunst“, einschließlich des transnationalen Surrealismus, der räumlichen Politik des Kapitalismus, der künstlerischen Form und der Geographien der Extraktion sowie Theorien zu Marxismus, Gender, Trauma und Erinnerung. Ihre jüngsten Artikel wurden in Berlin Review, FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur, Camera Austria, Brand-New-Life Magazine, Third Text, Kunst und Politik: Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft, und in Performance Research veröffentlicht. Ihre erste Monografie Artistic Labour of the Body erscheint demnächst in der Buchreihe Historical Materialism bei Brill und Haymarket.

Dr. Rose-Anne Gush