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Florian Bieber
Gesellschaft im Aufbruch? Protestbewegungen in Serbien

Vortrag 

Prof. Dr. Florian Bieber

© Kanizaj/​UniGraz 2025

Die seit November 2024 anhaltenden, nahezu täglichen Proteste in Serbien, die sich für eine funktionierende Justiz, unbeeinträchtigt arbeitende Institutionen sowie gegen Korruption einsetzen richten sich somit gegen die aktuelle, als illegitim angesehene, da nicht an die diesbezügliche Verfassung haltende Regierung. Es handelt sich um Proteste von Studierenden, Schüler:innen, Lehrer:innen, Hochschullehrenden und weiteren Akteur:innen der Zivilgesellschaft, die am 15. März 2025 in dem größten Massenprotest Belgrads mit über 300.000 Protestierenden kulminierten. Entzündet haben sich die Proteste infolge eines Unfalles am Vordach des Bahnhofs von Novi Sad, das auf Grund von Baumängeln einstürzte und 16 Menschenleben sowie zahlreiche Verletzte forderte. Die EU und westliche Partner Serbiens, so auch Österreich und Deutschland reagierten auf die noch immer andauernden Massenproteste bislang relativ verhalten, sowohl aus geopolitischem, als auch wirtschaftlichem Kalkül. Auch in den Medien haben die Proteste, zumindest bis zum März 2025 wenig Aufmerksamkeit erhalten.

In seinem Vortrag wird Prof. Dr. Florian Bieber die Ursachen und Ursprünge der derzeitigen Proteste erörtern. Der Zerfall Jugoslawiens und die Kriege der neunziger Jahre wurden entscheidend von Slobodan Milošević bestimmt, dessen autoritäre und nationalistische Herrschaft Serbien prägte. Erst nach zahlreichen Massenprotesten und Studentenbewegungen wurde er 2000 von der Macht gedrängt. Die Konsolidierung der Demokratie in Serbien scheiterte mit der schrittweisen Machtübernahme von Aleksandar Vučić ab 2012, der einst als Informationsminister unter Milošević amtierte. Er konnte seine Macht konsolidieren, indem er an der EU-Integration formal festhielt, aber zugleich gute Beziehungen zu Russland und China aufbaute und nationalistische Ressentiments aufgriff. Mit einer Kontrolle über Medien und alle Institutionen konnte Vučić die Opposition schwächen und bereits zahlreiche Protestwellen überstehen.

Künstler:innen

Teilnehmende Künstler:innen

Prof. Dr. Florian Bieber

* 1973 in Luxemburg, lebt in Graz

ist Politologe und Zeithistoriker mit einem Forschungsschwerpunkt der Zeitgeschichte und der politischen Systeme Südosteuropas, insbesondere Demokratisierung, Europäische Integration und Nationalismus. Bieber hat am Trinity College (USA), der Universität Wien und der Central European University in Budapest Geschichte und Politikwissenschaft studiert. Nach Stationen am Europäischen Zentrum für Minderheitenfragen in Sarajevo und Belgrad, als Lecturer für osteuropäische Politik an der Universität Kent ist er seit 2010 Professor an der Karl-Franzens-Universität Graz und leitet das Zentrum für Südosteuropastudien. Er war Gastprofessor unter anderem an der Cornell-Universität, New York, der Central European University, Budapest, und den Universitäten Bologna, Sarajevo, und Belgrad, sowie derzeit am College of Europe in Tirana.

Darüber hinaus koordinierte er die Balkans in Europe Advisory Group (BiPEAG). Zu seinen jüngsten Veröffentlichungen zählen Pulverfass Balkan (Ch.Links 2023), Debating Nationalism (Bloomsbury 2020), und The Rise of Authoritarianism in the Western Balkans (Palgrave 2020).

Prof. Dr. Florian Bieber

© Kanizaj/​UniGraz 2025