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Lee Scratch Perry

TV Sculpture, 2020

TV-Standfuß, Plüschtiere, Mixed Media
Variable Dimension

Courtesy The Visual Estate of Lee Scratch Perry / suns.works, Zürich

Ich bin ein Außerirdischer aus der anderen Welt, aus dem Weltraum, ich habe kein Land, kein Anwesen, keinen Besitz, kein Haus. Nicht auf dieser Erde. Ich lebe im Weltraum – ich bin hier nur ein Besucher.“ Lee Scratch” Perry.

Der jüngst verstorbene jamaikanische Musiker und Künstler Lee Scratch” Perry ist vor allem als Plattenproduzent und Sänger bekannt. Indem er alle möglichen Musikstile und Geräusche in seine Musikproduktion integrierte, erfand er den Remix und das Mash-up, ohne die Musik heute nicht mehr denkbar ist. Als innovativer und visionärer Produzent trug Perry in den 1960er- und 1970er-Jahren auch erheblich zur Expansion der jamaikanischen Musikszene bei. Ende der 1980er-Jahre verließ er Jamaika und ließ sich in der Schweiz nieder. 

Perry produzierte Musik unter der Verwendung unterschiedlicher technischer Mittel als auch schamanistischer Einflüsse. Ab den 1990er-Jahren wurde er auch für seine visuelle Praxis bekannt, die wie seine Musik auf dem Sampeln und Verweben basiert. Seine Installationen umfassen alles von Gemälden bis hin zu religiösen Objekten, Kleidung und einer ganzen Reihe anderer Dinge, die oft mit dem Panafrikanismus und der Rastafari-Religion in Verbindung gebracht werden. 

Zeichnungen, Gemälde und Texte werden an den Wänden seines Ateliers oder auf Schallplattenhüllen angebracht und später zu autonomen und unabhängigen Werken. Perry erschafft auf diese Weise ein Universum, das durch synkretistische Einflüsse kontrastiert und durchkreuzt wird, die von katholischen Figuren bis hin zu Obeah reichen, einem System spiritueller Praktiken und Praktiken der Rechtspflege, das unter versklavten Westafrikaner*innen in der Karibik entwickelt wurde. Diese oft humorvollen Gemälde und Skulpturen werden oft autobiografischen Kompositionen gegenübergestellt, in einem Netzwerk, das ständig rearrangiert wird und bei jeder Neuzusammensetzung andere Bedeutungen schafft. Das Werk des Künstlers überschneidet verschiedene Genres, indem es geschriebene Worte, Bilder, Spiegel, Fotografien und angeeignete Objekte neben anderen Elementen, die oft auch geschnitten, verbrannt oder bemalt werden, miteinander verwebt. Oft ist Perrys Werk von Spiritualität durchdrungen und erweckt eine Art magisches Pantheon zum Leben, in dem unaufhörlichen Bemühen, allmächtige Kräfte zu verehren. 

In der Ausstellung Systems of Belief ist ein Raum Lee Scratch” Perry gewidmet. Dieser zeigt noch nie präsentierte Werke aus dem Atelier des Künstlers, der in einem kleinen Ort nahe Zürich arbeitete. Resultat seiner expansiven Arbeitsweise ist die Miteinbezugnahme der Atelierräume, die für Perry Träger für seine in situ“-Installationen sind. Die mit Paneelen verkleideten Atelierwände wurden an der Nord-und Ostseite abgetragen und in der HALLE FÜR KUNST Steiermark wieder errichten. Für die Installation wurde auf eine ortsspezifische Arbeitsweise des Künstlers, für seine Installationen oft Steine aus dem nächstliegenden Gewässer zu nutzen, zugegriffen: So werden für hier Steine aus dem Graz durchfließenden Fluss Mur, die sogenannten Murnockerln“, verwendet.

Perrys ständiger Begleiter scheinen kleine Hand- oder Handykameras gewesen zu sein. Auf insgesamt sieben Screens wird von ihm gefilmtes Videomaterial gezeigt, das dem Künstler im physischen Sinne nah ist und oft privat anmutet. Das Material wirkt in vielen Fällen wie beiläufig entstanden und zeigt vor allem Perry selbst in seinem Atelier und im Alltag. Neben den Originalstudio-Wänden werden auch andere Objekte gezeigt, die einen Einblick in die additive Praxis des Künstlers geben. 

Das Schaffen von Lee Scratch“ Perry eindeutig in den kunsthistorischen Kanon einzuordnen fällt nicht leicht, da sich eine Art Widerständigkeit gegenüber klassischen Konventionen des Werkbegriffs bemerkbar macht. Im Zusammenhang mit den wundersamen Artefakten, die der Künstler und Musiker hinterlassen hat, scheint ein Nachdenken über den Begriff der sogenannten Counter-Culture“ also Gegenkultur“ produktiver zu sein. Der Begriff wird vor allem im Zusammenhang mit der Bewegung der Neuen Linken“ in den 1960er-Jahren verwendet, die vor allem in Westeuropa und Nordamerika aktiv war. Dazu gehört auch das Free Speech Movement“, das sich in den USA unter anderem aus unterschiedlicher Formen von studentischen Protesten zusammensetzte, die sich auch sehr für die Bürgerrechte von schwarzen Amerikaner*innen einsetzten

Counterculture“ als Begriff lässt sich aber ebenfalls auf verschiedene musikalische Strömungen der Zeit anwenden. In den 1960er- und 1970er-Jahren entstand in Jamaika Dub als Genre, in dem Reggae Musik mit der Manipulation von elektronischen Effekten neu abgemischt wurde. Die daraus entstandenen Musikstücke sind durch eine Wiederholung und Aneinanderreihung von gleichen Sequenzen gekennzeichnet, die in ihrer Struktur scheinbar unendlich wiederholt werden können. Diese fast ewig ausdehnbar wirkenden Songs widerstreben der Idee eines Stückes mit klarem Anfang und Ende. Gleichzeitig ist die jamaikanische Musik aus dieser Zeit stark mit religiösen Vorstellungen der Afrikanischen Diaspora verbunden, die sich in Jamaica als Rastafari Religion ausprägte. Mit der steigenden Beliebtheit jamaikanischer Musik im Westen wurde auch deren Ideen und Geschichte populär und unterstützte andere Vorstellungen von Spiritualität wie eine nicht westliche Geschichtsschreibung. Auch wenn all diese Komponenten wichtig sind um das Werk von Lee Scratch“ Perry zu begreifen, erscheint es vor allem wesentlich seinen impulsiven und intuitiven Zugang zur Welt und zu seinem Schaffen zu verstehen.


The Blue Ark, 2016 – 2021
Ortsspezifische Installation bestehend aus zwei Wandverkleidungen (Nordwand und Ostwand), Zeichnungen, Collagen, Skulpturen, Objekten, Worten und Videos aus dem Blue Ark Studio, Einsiedeln (CH

JESUS CHRISt, JAH, SELASSIE, UNAGED, CANt DEAD, DROP DEAD, £AtE, SUN, B£E$$ED, JUStICE, INRI, I AM tHE UPSEttER, U$A, GANDA£, HA HA HA, AINt B£OOD$, COLD LOVE KILLA, SCRAtCH, NO EVE, MAD, B£ACK ARK, FUCK YOU, CROOKS, DABOO, BABOON, BAM DUtY PUSSY, BAM BAM HAtER, $HIt PIt, EAt SHIt, ENDGELLS, NOAH’S ARK, NEPtUNE, BRIMStONE & FYA, ABCDEFGHIJLKLMONOPQRStUVWXWZION, tHE ARK OF tHE COVENANt, $$PACE ORBIt, BIRD FEAtHERS, PIECES AND AIRES, YIN AND YANG, EZEKIEL, OBEAH VIALS, LION OF JUDAH, LORD KRISHNA, tHE StAR OF DAVID, BABYLON, CLOSE ENCOUNtERS OF tHE ANGELIC KIND, ALIENS AND LIONS, MAGIC BLACK WIDOW, BUM ZAP, MY KOON, JAMtOOL AFRICA, SPIt, SUERtE, UNDEAD, KING LIZARD, IN-BAGG, UNNAGGA, RAIN GOD PIPE, SAINtS AND ANGELS, BOB OBYAH DEAD XMZ, FLOOD SUN, GENESIS, tHE BLACK MADONNA, ALCHIMIE & MYStIQUE, BOO L$D £$P BA$$ FOO„£1 £2 £5 £10 £20 £50, IMMANUEL, MAGIC tHE GAtHERING, FLAG OF JAMAICA, tHE GREAt QUEENS OF AFRICA, COWS, KING SOLOMON, StARS, CD’S, RAStA CHILD, ENERGY FLASH, tRIPE HOt ICE, GOD RAIN, tHANK YOU, ROOt MUZICK, £A £A £A, JAPAN LASt, PISS, CHEE CHEE JA WEE WEE, tEARS JESUS FREE, FINA££Y, GOVERNMENt OPEN LOCK ORE ELSE KAPOW, FROM RAIN BASS AND DRUM, HOLY SHIt BELLY, WORLD MAPS, SHIVA, tHE BLACK StAR LINER, UFOS, BOB MARLEY, MERLIN tHE WIZARD, KING tUt, SUPERMAN, HINDI, BUDDHA, GANJAH, BLADE VAMPIRE HUNtER, RAINDROPS, WONDER WOMAN, EtHIOPIA, APES, BANANAS, ELIJAH, PLANEtS, PYRAMIDS, SPHINX, HOROSCOPES, JUStICE tUNDER X PLOSSION, MOUNt ZION, REGGAE JAM, £IGHt, ROCKS AND MIRRORS,…AND MANY MANY PICtURES OF £$P

Werkliste (alphabetisch)

Bird Cage, undatiert 
Vogelkäfig, Steine, Mixed Media 
87 × 42 × 42 cm

Blue Ark Nordwand, 2016 – 2021
Mixed Media auf Leinwand, Traumfänger, Hut, gerahmtes Bild
350 × 490 cm

Blue Ark Ostwand, 2016 – 2021
Farbe, Papier, Collage, Mixed Media auf Styropor- Paneelen 
250 × 630 cm

Bob X Obyah Dead, 2018
Ölkreide auf Papier
55 × 45 cm

Boo LSD LSP, 2021
Filzstift auf Styropor
50 × 80,5 cm

Ethiopia-Selassie, undatiert
Laminierte Collage
74 × 47 cm

Flood Sun, 2020
Collage, Markers, Acryl auf Holzboard
60 × 100 cm

Genesis, 2020
Collage und Acryl auf Papier
70 × 50 cm

God Rain, 2016 – 2021
Collage auf Leinwand, zwei Traumfänger-Spiegel, Geld, Mixed Media
109 × 61 cm (collage); 53 × 18cm / 41 × 18 cm (dreamcatchers)

Government open lock, 2020
Marker, Ölkreide auf Leinwand 
102 × 53 cm

Holy Shit Belly, undatiert
Gelber Koffer
75 × 42 × 27 cm

Justice Tunder, 2018
Ölkreide und Acryl auf Papier
55 × 45 cm

Laptop (Black Ark), ca. 2009
Collage, Bandspulen auf Laptop
26 × 38 cm

Lightning Rod, 2016 – 2021
Draht, Halsketten, Amulette, Bibeln, Mixed Media
Variable Dimension

LSP Tiki Shrine, 2020
Mixed Media, Holz
93,5 × 63 cm

Mount Zion Hand, 2018
Ölkreide auf Papier
50 × 40 cm

Nativity Painting (Reggae Jam), 2018
Collage und Acryl auf Leinwand
140 × 170 cm

Pisces and Aries (Yin Yang), 2020
Collage und Acryl auf Leinwand
170 × 140 cm

Sphynx-Horoskop, 2020
Acryl und Mixed Media auf Holzplatte
8060 cm

The Hunted Ones, 2020
Marker und Collage auf Leinwand
80 × 54 cm

Turtle Mirror, 2020
Mixed Media auf Spiegel 
50 × 35 cm

TV Sculpture, 2020
TV-Standfuß, Kuscheltiere, Mixed Media 
Variable Dimension 

TV Sculpture, 2017 – 2021
Fernseher, Collage, Schal, Kapitänsmütze
57 × 57 × 50 cm

Untitled, 2011
Collage, Marker, Acryl auf Karton, Holzrahmen 
109 × 75 cm

Untitled, undatiert
Aluminiumbox-Deckel, Mixed Media 
19 × 19 cm

Untitled, undatiert
Collage auf Spiegel
49,5 × 42,28 cm

Untitled, undatiert 
Plastikschale, Mixed Media 
34 × 34 cm

Untitled, undatiert 
Mixed Media auf MDF
49 × 70 cm

Untitled, undatiert
Pfanne, Kuchenform, Steine, Mixed Media 
49 × 30 cm, 20 × 20 cm

Wall-Pole, 2016 – 2021
Holzstange, Kappe, Ketten, Mixed Media 
255 × 20 × 10 cm

Diverse Blätter, Poster, Murnockerl

Alle Werke Courtesy The Visual Estate of Lee Scratch Perry / suns.works, Zürich

Lee Scratch Perry

*1936 Kendal, †2021 Lucea

war eine der einflussreichsten Persönlichkeiten in der Entwicklung von Reggae und Dub-Musik in Jamaika. Seine spätere Musik ist weit entfernt von seinen Reggae-Tagen; viele sahen diesen Abschnitt von Perrys Karriere in mehrfacher Hinsicht eher als Performance-Kunst. In den späten 1990er-Jahren wurde Perry auch als bildender Künstler anerkannt und wahrgenommen. Perrys multidisziplinäre Praxis umfasst seinen gesamten Körper und seine physische Umgebung und zeichnet sich durch eine einzigartige Mischung aus religiösen und symbolischen Glaubenssystemen aus. In den letzten Jahren wurden seine Arbeiten immer stärker im Kunstfeld rezipiert und unter anderem im MACRO – Museum für zeitgenössische Kunst in Rom (2022); und auf der 34. Sao Paulo Biennale (2021) ausgestellt.