Zum Inhalt springen

Paul Laffoley

True Liberation, 1963

Öl, Acryl und handaufgetragene Vinylletter
1401377,6 cm

Alle Werke Courtesy KENT FINE ART, Ridgewood, New Jersey

Paul Laffoley (1935 – 2015) hat während seiner Schaffensphase ein im besten Sinne ästhetisch reichhaltiges Werk geschaffen. Seine Werke sind durch ein starkes Interesse an Systemen und Erkenntnismodellen geprägt. Seit der Mitte der 1960er-Jahre hat sich Laffoley in seinen Malereien, Drucken, Zeichnungen und Skulpturen die er mit einer ihm eigenen Präzision und Feingliedrigkeit ausführte, mit mathematischen Fragen, Utopien, Philosophie, genauso wie Mystik oder Spiritualität befasst. Dabei fächert er die einzelnen Aspekte und Subthemen der jeweiligen Fragestellung extrem auf und übersetzt sie in eine grafische Darstellung mit mannigfaltigen Verästelungen. Die meisten Arbeiten zeichnet dabei ein Neben- und Miteinander von Diagrammen, Rastern, Sprache und Formen aus, die Laffoley nutzt um komplexe Bild-Gewebe zu erstellen, die dazu dienen Wissensfelder nach seiner Auffassung darzustellen. Die hergestellten Verbindungen erschließen sich dabei einer ausstehenden Betrachtung immer nur bedingt. 

Der Titel von Pistis Sophia (2004 – 2006) ist dem gleichnamigen Schriftstück entlehnt, welches vor allem im Glauben von koptisch-gnostischen Strömungen innerhalb des Christentums Beachtung findet. Der Text beschreibt verschiedene Lehren, die Jesus Christus elf Jahre nach seiner Auferstehung seinen Jüngern vermittelt haben soll. Diese Erzählung spielt im klassischen Kanon der christlichen Lehre des neuen Testaments keine Rolle, ist aber unter anderem Grundlage für die gnostische Kosmologie. Das Sujet des Bildes Pistis Sophia ist eine Frau, die als die persönliche Physiotherapeutin des Künstlers in einer medizinischen Einrichtung in New York tätig war. Sie wird mit Engelsschwingen aus Feuer dargestellt. Auf dem Bildvordergrund sind ihre zwei betenden Hände ausgestreckt erkennbar, die von Schlangen umschlungen sind. Gerahmt wird die Darstellung von den für Laffoley typischen Schriftfeldern und einem Vorhang. Links und rechts befinden sich Mars und Venus als Gegensatzpaar. Durch den Bildaufbau könnte man annehmen es handele sich um eine Darstellung des Sternbildes Schütze, die mit einer weiblichen Darstellung der Pistis Sophia verbunden ist. 

Nach der vedischen Astrologie ist das erste Haus das Haus des Selbst. Das Bild The House of the Self (1971) beschreibt die Ankunft der Seele im Leben auf der Erde als physischer Körper – oder das Werden des Ichs –, das sich im Kristallspiegel, der hinter allem steht, spiegelt. Die Teile des Körpers entsprechen den fünf Sinnen, den fünf Elementen und den fünf Lämmern der Chakren. Unter den Bildern der fünf Körperteile befindet sich ein abstraktes Raster, das die Fähigkeit des Geistes zum mathematischen Denken – oder den Zahlenverstand – darstellt, welches zwischen dem Sein und dem Nichts steht. Laffoley hat das Bild als Illustration eines Glaubenssystems beschrieben, das man fast wie eine Karte lesen kann, in der fernöstliche Glaubensformen mit westlichen vermengt werden. 

In The Gate of Brahman: The Cosmic Octave (1971) beschreibt Laffoley einen hohen Zustand, der in der Meditation erreicht werden kann, indem das diskursive Denken aufhört und die meditierende Person völlig im Gegenstand der Mediation aufgeht. In der Darstellung werden die sieben Chakren als Räder dargestellt und in ihrer Bedeutung von oben nach unten gereiht, sie bilden die sogenannte Kosmische Oktave“. Sie sind Zentren feinstofflicher Energien, die ohne körperliche Bewegung aktiviert werden. Diese Energien werden oft Prana oder Kundalini genannt. Von unten nach oben gelesen beschreiben sie den Weg der Erleuchtung des Bewusstseins. Thematisch anverwandt könnte man auch True Liberation (1963) (dt.: wahre Befreiung) lesen. In der kreisrunden Struktur sind verschiedene Gegensatzpaare (positiv – negativ; Vergangenheit – Zukunft; aktiv – passiv) vereint. In der Vereinigung dieser Gegensätze vermutet Laffoley gleichzeitig ihre Auflösung, was wiederum den Zustand der wahren Befreiung erzeugt. In Why Is There Something Rather Than Nothing (1964) schließlich stehen sich Sein und Werden gegenüber. Die Arbeit beschreibt den Übergang ins Absolute, also das, was wir hinlänglich sterben nennen. Die Frage, die im Titel evoziert wird, können wir als eine generelle verstehen, die wir uns selbst stellen, wenn wir über unser Ende nachdenken. 

In allen vorliegenden Darstellungen verknüpft Laffoley mit einer leicht anmutenden Präzision Module aus verschiedenen Einflussbereichen zu einem komplexen Gebilde. Vom Resultat aus betrachtet wirkt nichts an ihnen übermäßig konstruiert, sondern in sich zumindest kohärent. Dies ist kein Zufall, an seinen Leinwänden arbeitete Laffoley oft bis zu 3 Jahre. Auch wenn sie sich in Strategie und Aufbau ähneln so sind alle Werke als singuläre Arbeiten und nicht in Reihen oder Serien strukturiert. Jedes für sich genommen stellt den Versuch dar Fragen zur Welt, einen Glaubenssatz oder eine einzelne große Frage der menschlichen Existenz ausführlich zu beantworten. Dies passiert natürlich aus einer extrem subjektiven Perspektive, die sich aus vielem speist. Bildnerisch bleibt die Tiefe dieser Auseinandersetzung spürbar, wenn er die Programmierung seines Denkens für uns öffnet, um nicht zu sagen aufführt und in jedem Bild sein Glaubenssystem kartografiert.


True Liberation, 1963
Öl, Acryl und handaufgetragene Vinyllettern 
1401377,6 cm

Pistis Sophia, 2004 – 2006
Öl- und Arcylfarbe, Vinyldrucklettern, Tusche, Fotocollage auf Leinen mit Samtvorhang und magischem Spiegel 
264151,816,5 cm

The House of the Self, 1971
Öl, Acryl, Tusche, Vinyl-Buchstaben auf Leinwand, bemalter Holzrahmen 
1735050 cm

Why Is There Something Rather Than Nothing, 1964
Öl, Acryl, von Hand aufgetragene Vinyl-Buchstaben, Mixed Media auf Leinwand und Holz 
121,9132,1 cm

The Gate of Brahman: The Cosmic Octave, 1971
Öl, Acryl, von Hand aufgetragene Vinyl-Buchstaben auf Leinwand 
248,9121,92 cm

Alle Werke Courtesy KENT FINE ART, Ridgewood, New Jersey

Paul Laffoley

*1935 Cambridge, Massachusetts, †2015 Boston, Massachusetts

Nach seiner formalen Ausbildung in den klassischen Fächern an der Brown University und seinem Archi-tekturstudium in Harvard begann Paul Laffoley (*1935 Cambridge, Massachusetts, †2015 Boston, Massachu- setts) damit, seine verwandten intellektuellen Ansätze zu assimilieren und systematisch miteinander zu verknüpfen. Auf der Suche nach erweiterten Möglichkeiten ging er 1963 nach New York, um mit dem visionären Künstler und Architekten Frederick Kiesler zusammenzuarbeiten, und wurde außerdem angeworben, um für Andy Warhol Late-Night-TV zu schauen – im Austausch für einen Schlafplatz. Von diesem Zeitpunkt an begann Laffoley, seinen einzigartigen transdisziplinären Ansatz einer neuen Disziplin zu formulieren, die Philosophie, Wissenschaft, Architektur und Spiritualität mit der Praxis der Malerei verbindet. In den späten 1980er-Jahren begann Laffoley, sich vom Spirituellen und Intellektuellen zu lösen und sein Werk als interaktives, physisch einwirkendes psychotronisches Gerät zu betrachten, einen modernen Ansatz zur transdisziplinären Aufklärung und ihrer spirituellen Aura. Laffoleys Schriften sowie seine Kunstwerke wurden im Mai 2016 von der University of Chicago Press in einem neuen Buch mit dem Titel The Essential Paul Laffoley veröffentlicht. Seine Arbeiten wurden u. a. im Palais de Tokyo, Paris; dem Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwartskunst, Berlin; und der Hayward Gallery, London gezeigt.