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Richard Kriesche

ArtsatSpace _Message _Sculpture, 1991 (Detail)

Gold, Acrylglas, Holzkonstruktion furniert
22,531190 cm

Courtesy der Künstler 

Das umfangreiche und mehrteilige Projekt ART-SAT (1991), das an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft entstanden ist, spiegelt die transdisziplinäre Praxis Richard Kriesches wider. ART-SAT entstand anlässlich des Weltraumfluges des ersten und bisher einzigen österreichischen Kosmonauten Franz Viehböck. Dieser auch unter dem Namen Austromir 91 bekannte Flug wurde in Kollaboration mit der damaligen Sowjetunion realisiert. Die Zusammenarbeit wurde vom Grazer TU-Professor Willibald Riedler begründet, dessen Institut für Weltraumforschung mit russischen Wissenschaftler*innen über Jahre hinweg zusammenarbeitete. Viehböck startete am 2. Oktober 1991 in einer Raumkapsel zur sowjetischem Raumstation MIR, die Mission dauerte insgesamt acht Tage. 

ART-SAT bestand aus unterschiedlichen Elementen und räumlichen Stationen: einer Ausstellung in einem Grazer Innenstadt-Hotel, dem ORF-Landesstudio Steiermark, einer Grabung vor dem Landesfernsehstudio, einem mit technischen Mechanismen ausgestatteten Klavier, einer CD und einem Schweißroboter. Im Grazer Fernsehstudio reichte Kriesche über ein neu entwickeltes Satelliten-Videokonferenzsystem Viehböck seine Hand. Diese Botschaft wurde an Moskau gesendet und von dort aus an die Raumstation MIR, wo die winkende Hand auf einem Videomonitor erschien. Während der folgenden Erdumkreisung der MIR fand im ORF-Landesstudio Steiermark eine im TV übertragene Multimedia-Aktion mit Liveauftritten zum Thema Kunst‑, Kultur- und Weltraum statt, bei der als Hintergrundmusik der Donauwalzer nonstop gespielt wurde. Als die Raumstation MIR genau über Graz flog sendete die Station eine Triggersignal aus um eine Textbotschaft zu übermitteln.

Die Botschaft von Viehböck wurde mit der Musik kurzgeschlossen, sodass das Stück verfremdet wiedergegeben wurde. Gleichzeitig wurden aus dem verfremdeten Donauwalzer akustische Parameter durch Spektralanalyse gewonnen und auf einem PC aufgezeichnet. Auf einem speziell präparierten stummen Klavier wurde die verschlüsselte akustische Botschaft visualisiert, so als ob die imaginäre Hand des Kosmonauten darauf spielte. Nachdem die Raumstation den Empfangsbereich Graz nach einigen Minuten wieder verlassen hatte, wurden die auf PC aufgezeichneten Daten von einem Roboter verarbeitet, der vor dem Publikumsstudio aufgebaut war. Dieser schweißte die verschlüsselte Botschaft auf eine Edelstahlplatte mit ca. 3,5 m Durchmesser. Diese Platte wurde zu einer Arbeit mit dem Titel ASCII-Himmel (1991), die permanent auf dem Grazer Schloßberg zu sehen ist. ASCII steht hier für American Standard Code for Information Interchange, eine Zeichensprache, die für die Übertragung genutzt wurde. Die Platzierung des Kunstwerkes auf dem Schlossberg steht in Zusammenhang mit den Geschicken des Ortes. In den Pionierjahren des österreichischen Funkverkehrs war der Schloßberg Stützpunkt einer wichtigen Funkanlage. Während der kompletten Dauer der Erdumkreisung wurde vor dem Grazer ORF-Studio ein Erdloch gegraben um die zeitliche Dauer räumlich sichtbar werden zu lassen.

Die Arbeit Artsat – Space_​Message_​Sculpture (1991), die in der HALLE FÜR KUNST Steiermark präsentiert wird, wurde ursprünglich im Rahmen einer Präsentation in einem Grazer Hotel gezeigt. Zu sehen ist ein Rechteck bestehend aus kleinen Metallplättchen. In die Metallplatte wurden ursprünglich die Silhouetten einer Frau und eines Mannes eingraviert, bevor sie geteilt wurde. Auf der Hinterseite wurde jedes Plättchen mit einem Stecker versehen, wie er für Ohrringe verwendet wird. Das Kunstwerk als Schmuckstück stand den Besucher*innen zur freien Entnahme zur Verfügung. Mit diesem Element des Projektes ART-SAT wollte Kriesche eine Verbindung zwischen der Argonautensage aus der griechische Mythologie und dem Raumfahrer aus dem Jahr 1991schaffen. Als Seefahrer trugen die Argonauten auf einem Ohr einen Ring, der sie auszeichnete. Mit dieser assoziativen Verbindung zwischen griechischer Mythologie und aktuellem Tagesgeschehen schuf der Künstler eine partizipatorische Arbeit, die weniger von Wissenschaft und Technik bestimmt ist, wie die anderen Elemente des Projektes, sondern auf Humor und anekdotischem Wissen beruht.

Die Art und Weise wie der Künstler hier schon Beginn der 1990er-Jahre ein System von unterschiedlichen, von einander abhängigen menschlichen und nicht-menschlichen Akteur*innen entwirft, spiegelt seinen Weitblick wider. Eine der faszinierendsten Prämissen unserer Gegenwart beruht auf der Idee des Posthumanismus, der davon ausgeht, dass nicht nur menschliche Akteur*innen, sondern u. a. auch Technologien, Substanzen oder Artefakte eine Agency“, also Handlungsmacht, haben. Gleichzeitig könnte man die Arbeit ART-SAT (1991) aus dem Hier und Jetzt betrachtet auch als eine Art Modell für ein immaterielles Netzwerk unterschiedlicher Referenzpunkte begreifen, das nicht unähnlich wie die Idee des Internets funktioniert. Hier stehen unterschiedliche Server über die geografischen Grenzen, sogar durch Satelliten verbunden, in Kontakt und bilden ein Netzwerk, das Effekte und Tätigkeiten in sich birgt. Ähnlich wie die Argonauten auf See Neues erkundeten surfen“ wir durch das Internet, und stoßen nicht nur auf brauchbare Informationen und Dienste, sondern werden oft auch durch unproduktive Fehler, die manchmal bizarre Folgen haben, überrascht. 


Artsat – Space_​Message_​Sculpture, 1991
Gold, Acrylglas, Holzkonstruktion furniert 
22,5 × 31 × 190 cm
Courtesy der Künstler

Richard Kriesche

*1940 Wien, lebt in Graz

ist ein Künstler, Kunst- und Medientheoretiker. Seine künstlerischen Arbeitsfelder umfassen Fotokunst, Videokunst, Computerkunst, Netzkunst, Installationen, Performance und Multimediakunst. In seinen Werken versucht Kriesche den Brückenschlag zwischen den genetischen Mikrowelten und den Makrowelten des Weltalls. Mit seinen Skulpturen und Installationen war Kriesche bei zahlreichen Großveranstaltungen wie beispielsweise auf der documenta 6; der Venedig Biennale; und in Museen wie dem Haus der Kunst; München oder dem Chicago Art Institute. Zuletzt widmete das Museum der Moderne in Salzburg ihm eine umfangreiche Personale.