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Intro

Lee Scratch Perry, FLOOD SUN, 2020

Collage, Marker und Acryl auf Karton, 60100 cm

Courtesy The Visual Estate of Lee Scratch Perry/​suns.works, Ridgewood, New Jersey

Die großangelegte Gruppenausstellung Systems of Belief vereint künstlerische Positionen, die sich mit alternativen Glaubenssystemen auseinandersetzen. In einer Welt, in der politische wie ökologische Ausnahmezustände den Alltag bestimmen, werden Konstanten des gesellschaftlichen Lebens wie Wissenschaft, Wirtschaft und Politik innerhalb von öffentlichen Debatten vermehrt auf den Prüfstand gestellt. Als Individuen, als Gesellschaft und als gesamtes Ökosystem stehen wir derzeit vor großen Herausforderungen. Herausfordernd, ja sogar überwältigend ist oftmals auch die subjektive Verarbeitung des komplexen Weltgeschehens, die durch unterschiedliche Informationsströme auf uns einfließt und unsere Sicht der Gegenwart prägt.

Mit fast grenzenloser Kraft scheinen oftmals anonymisierte und algorithmisierte Kommunikationsquellen auf unsere Wahrnehmung einzuwirken. Ihre technologischen und digitalen Strukturen und Systeme sind Ausdrucksformen technokratischer Mechanismen, die unsere Öffentlichkeit prägen: Evidenzbasierte Informations- und Analysetechniken, akkurate Organisationspläne und reibungslose Prozesse treiben unsere politischen und gesellschaftlichen Apparate an, die kaum greifbar, aber allgegenwärtig sind. In dieser entpersonalisierten und geradezu metaphysischen Sphäre technologischer Vorgänge erscheint jede Form des irrationalen Handelns innerhalb jener Apparate zunehmend unmöglich. Die Ausstellung Systems of Belief nimmt diesen vermeintlichen Raum des Unmöglichen zum Ausgang und versucht durch die Perspektiven unterschiedlicher Künstler*innengenerationen in Welten vorzudringen, in denen Technologie nicht zum Zwecke konformistischer Regularien verwendet, sondern zur Erzeugung von Unordnung, Ausdruck unorthodoxer Dogmen und spiritueller Selbsterkenntnis bzw. Selbstverwirklichung wird.

Systems of Belief begreift Technologie als System von automatisierten Prozessen und Mechanismen, die in gegenseitiger Abhängigkeit Lösungen für Probleme schaffen sollen. Diese Bedeutung des Begriffs ist wie oben beschrieben in einer technokratischen Gesellschaft zu ihrer vollkommenen Entfaltung gekommen. Weniger als Netzwerk gedacht meint Technologie aber auch die Entwicklung unterschiedlicher Werkzeuge zur Gestaltung verschiedener Produktions- und Gestaltungsverfahren.

Die Ausstellung vereint einerseits Positionen, die ihre in Auseinandersetzung mit der Logik und Ästhetik von Wissens- und Bedeutungssystemen wie beispielsweise Diagrammen, kartographischen Schemas aber auch religiösen Schaubildern eigenen transdisziplinären Welten schaffen. Andererseits werden Arbeiten gezeigt, die zur Zeit ihrer Entstehung auf neue technologische Verfahren und Erzeugnisse zugreifen. So machen es beispielsweise analoge Animationstechniken oder Super8-Filmkameras möglich mit Farb- und Lichteffekten zu arbeiten, die ein erweitertes visuelles Spektrum ermöglichen, welches die Darstellung einer physischen oder psychologischen Transzendenz ermöglicht. 

Ausgehend von den Arbeiten des experimentellen Filmemachers Jordan Belson (19262011), des Künstlers und Architekten Paul Laffoely’s (19352015), der Poetin und Underground Filmemacherin Storm de Hirsch (19122000), des Musikers und Künstlers Lee Scratch Perry (19362021) blickt Systems of Belief auf Kunstschaffende, die ihre Praktiken unter den Vorzeichen unterschiedlicher Herkünfte und gesellschaftlicher Prägungen entwickelten. So ungleich ihre Werke erscheinen vereint sie jedoch ihr transdisziplinärer und autodidaktischer Zugang zur Kunstproduktion als auch ihr Wirken in subkulturellen Kontexten, die nur sporadisch an etablierte Strömungen angedockt waren. So galt beispielsweise Laffoley, der unter anderem mit Andy Warhol und Friedrich Kiesler in Kontakt stand Zeit seines Lebens fast ausschließlich als Outsider-Artist”. Durch seine Auseinandersetzung mit und Interesse für Wissenschaft, Psychologie und Religion, schuf Laffoley hauptsächlich Malereien, die ähnlich wie heutiges Informationsdesign, Systeme abbilden, die seine Ideen von erdachten kosmologischen Welten, wundersamen Maschinen sowie spirituellen Philosophien festhalten. Die Filmemacherin Storm de Hirsch gilt als eine der Schlüsselfiguren der New Yorker Avantgarde Szene der 1960er-Jahre. Wie viele experimentelle Filmemacher*innen dieser Zeit begann auch de Hirsch ihre künstlerische Laufbahn nicht als Filmemacherin, sondern als Dichterin. Am Anfang der 1960er-Jahre drehte sie ihren ersten Film und wurde bald in der New Yorker Underground-Filmbewegung aktiv, wo sie mit Filmemachern wie Stan Brakhage, Jonas Mekas, Shirley Clarke und anderen zusammenarbeitete. In ihren Filmen lotete sie die Möglichkeiten des Lichts und analoger Effekte aus um kaleidoskopartige Bilder zu kreieren, die von der Ästhetik fernöstlicher Religionen und Riten inspiriert waren. 

Der im letzten Jahr verstorbene jamaikanische Musiker und Künstler Lee Scratch Perry ist vor allem als Plattenproduzent und Sänger bekannt. Indem er alle möglichen Musikstile und Geräusche in seine Musikproduktion integrierte, erfand er den Remix und das Mash-up, ohne die Musik heute nicht mehr denkbar ist. Er produzierte Musik unter der Verwendung unterschiedlicher technischer Mittel als auch schamanistischer Einflüsse. Ab den 1990er-Jahren wurde auch mehr für seine visuelle Praxis bekannt, die wie seine Musik auf dem Sampeln” und Verweben basiert. Seine Installationen umfassen alles von Gemälden bis hin zu religiösen Objekten, Kleidung und einer ganzen Reihe anderer Dinge, die oft mit dem Panafrikanismus und der Rastafari-Religion in Verbindung gebracht werden. 

Im Dialog mit jenen künstlerischen Positionen zeigt die Ausstellung unter anderem auch Arbeiten der Grazer Kunstschaffenden Richard Kriesche und Antonia De La Luz Kašik. Richard Kriesche gilt als österreichischer Pionier der Medienkunst. In seiner Arbeit befasst sich der Künstler mit den tiefgreifenden Veränderungen der Computerisierung und Digitalisierung. Die oftmals schwer zu greifenden Räume, die durch jene Technologien entstehen werden in seiner Arbeit zum Ausgangspunkt um gedankliche Räume zu entwickeln, die sich mit Kommunikation und Informationen auseinandersetzen. Dabei tragen seine Werke oftmals utopische Züge in sich, indem sie die Grenzen von Logik und Konvention überschreiten um visionäre Ideen entfalten zu können. 

De La Luz Kašik zeigt eine Neuproduktion, die im Zuge der Panther Residency entsteht, einem Förderstipendium für eine junge lokale Position. In der Arbeit der Filmemacherin spielt die Kamera als Apparat eine zentrale Rolle. Durch sie werden verschiedene Bildwelten miteinander verbunden oder ineinander gerückt. Dafür lotet sie technische Möglichkeiten von analoger Kamera und Filmmaterial aus. Anknüpfend an bestehende Arbeiten entwickelt die Künstlerin für die Teilnahme an der Ausstellung einen neuen Film, der sich an den Grenzen des Mediums bewegt. 

Durch die Perspektive dieser unterschiedlichen Positionen ermöglicht Systems of Belief nicht nur ein Nachdenken über weltanschauliche oder spirituelle Selbstverwirklichung durch Verwendung und Subversion technologischer Mittel, sondern auch eine Reflexion über das System Kunst. Die Existenz einiger hier gezeigten Künstler*innen an der Peripherie des etablierten Kunstsystems weist dieses als ein von Regeln und Dogmen geformter Apparat aus, der aufgrund von Mechanismen der In- und Exklusion wie der systemischen“ Zugehörigkeit funktioniert. 

Kuratiert von Cathrin Mayer