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Ghislaine Leung

Viele Arbeiten von Ghislaine Leung basieren auf Scores (Partituren)“. In ihnen ist die Arbeit und ihre jeweilige physische, materielle Ausformung angelegt. Sie sind zugleich eine zusätzliche textliche Ebene und bilden eine Art Skript zur Aufführung des Werkes. Die Werkangaben sind oft der zentrale Text, der Besucher*innen zum Verständnis zur Verfügung gestellt wird. Die Arbeit wird von der Institution performt und ausgeführt. Die Objekte sind dabei in ihrer Präsenz im Ausstellungsraum für die Existenz der Arbeit trotzdem unerlässlich. Zwischen Anweisung und Objekt ergibt sich eine Doppelung. Beide sind Original, aber eben auch voneinander abhängig. Im Gegensatz zu historischen Positionen ist die materielle Ebene von großer Bedeutung für die konzeptuelle, textliche Ebene und kein bloßes Anhängsel oder eine rein administrative Angelegenheit, womit der Titel der Ausstellung on affairs auch zu spielen versucht.

Als ausführenden Institution steht die Zusammenarbeit mit der Künstlerin in einem anderen Verhältnis als zumeist üblich. Durch die Ausführung trägt das Ausstellungshaus eine größere Verantwortung und genießt auf der anderen Seite einen Vertrauensvorschuss der Künstlerin. Dieser liegt vor allem darin, wie die Arbeiten von der Institution interpretiert werden (können). In vielen Scores ist ein relativ großer Spielraum angelegt, der von der Institution mit Leben erfüllt werden muss. In der Ausstellung werden insgesamt zwei Scores ausgeführt.

In Browns (2021) werden alle dafür verfügbaren Wände vom Boden bis auf die Standardbildmitte braun gestrichen. Die genaue Anweisung lautet wie folgt: Score: All available walls in brown to standard picture hanging height.“ (Anweisung: Alle verfügbaren Wände braun gestrichen auf Höhe der Standardmitte der Hängung von Bildern.). Der braune Anstrich wird normalerweise relativ dünn aufgetragen, was vor allem bei festen, bestehenden Wänden in Ausstellungshäusern den Effekt hat, dass Spachtelstellen und Spuren von vorherigen Anstrichen sichtbar werden. Auf eine gewisse Art wird so die Geschichte der Wand und damit auch die Ausstellungsgeschichte der Institution sichtbar gemacht. Die Höhe der gestrichenen Flächen entspricht der Standardhöhe einer Hängung der Bildmitte auf 1,50 Meter und wird immer direkt vom Boden gemessen. Die Arbeit hat dabei auch die Tendenz kleinere Ecken der Raumgefüge zu highlighten und führt insgesamt dazu, dass viele, wenn nicht sogar alle Wände der Ausstellungsräume bespielt werden. Für die Installation in Graz wurde auch eine Ecke im oberen Eingangsfoyer bereitgestellt, da dieser Raum potentiell zur Nutzung für die Ausstellung zur Verfügung steht.

In Fountains (2022) soll ein Brunnen im Ausstellungsraum installiert werden. Der Score lautet wie folgt: A fountain installed in the exhibition space to cancel sound.” (Ein im Ausstellungsraum installierter Springbrunnen, der den Schall dämpft.). Die Arbeit erinnert durch den Titel an das erste Duchamp´sche Readymade, wobei hier eben ein funktionierendes Objekt vor uns steht, das einen Zweck erfüllt – die Umgebungsgeräusche durch lautes Plätschern des Wassers dämpfen – und nicht dekontextualisiert und isoliert als skulpturhaftes Objekt im Raum steht. Die konkrete Ausführung ist auch hier dem ausführenden Team der Institution überlassen und nur durch den Score definiert. Solange der Brunnen seinen Zweck erfüllt und das Konzept ausgeführt wird, ist seine ästhetische Erscheinung oder technische Ausführung nicht wesentlich.


Fountains, 2022
Anweisung: Ein im Ausstellungsraum installierter Springbrunnen, der den Schall dämpft.
Edition 1 von 3 + 2 AP

Browns, 2021
Anweisung: Alle verfügbaren Wände braun gestrichen auf Höhe der Standardmitte der Hängung von Bildern.
Edition 1 von 3 + 2 AP

Courtesy die Künstlerin; Maxwell Graham Gallery, New York

Ghislaine Leung

*1980 Stockholm, lebt in London

Solo (u.a.): Essex Street, New York (2022, 2019), Caravan, Oslo (2022), Ivory Tars, Glasgow (2022), Ordet, Mailand (2021), Museum Abteiberg, Mönchengladbach (2021), Cabinet, London (2021), Netwerk, Aalst (2019, 2018, 2017), Künstlerhaus Stuttgart (2019), Chisenhale, London (2019), Reading International, Reading (2018), Cell Project Space, London (2017), Wiels, Brüssel (2016); Shows (u.a.): The Renaissance Society, Chicago (2022), mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (2022), Goldsmiths CCA, London (2022), CAPC, Bordeaux (2022), British Art Show 9, Plymouth, Manchester, Aberdeen (2021÷22), Museion, Bolzano (2021), Helmhaus Zürich (2021), Felix Gaudlitz, Wien (2021, 2019), Geneva Biennale, Genf (2020), KW Institute for Contemporary Art, Berlin (2019), ICA Institute of Contemporary Arts, London (2019)