II
Örtagården
Märta Måås-Fjetterström
1928 / 1988
In der Apsis der HALLE FÜR KUNST Steiermark, dem einzigen Ausstellungsraum mit Blick auf den umliegend angelegten Stadtpark von Graz, zeigt Poledna eine historische Leihgabe: einen 1928 entworfenen, handgeknüpften Teppich aus der Werkstatt der schwedischen Textilkünstlerin Märta Måås-Fjetterström. Der als eine kontemplative Zone gedachte Ort wird so zu einer Art Ausstellung innerhalb der Ausstellung. Der Titel Örtagården ist mit Kräutergarten zu übersetzen und tatsächlich muten die Muster des Teppichs wie Beete an, die in einer nahezu abstrakt-geometrischen Formsprache stark modernistisch gezeichnet sind. Das Motiv tritt so in einen Dialog mit der konkreten Architektur sowohl der HALLE FÜR KUNST Steiermark, als auch der weiteren gebauten Umwelt des Parks.
Mathias Poledna knüpft hier einerseits an seine Auseinandersetzung mit institutioneller Kritik und neokonzeptuellen Strategien an, indem er selbst Objekte als Leihgabe innerhalb seiner eigenen Ausstellung platziert und die duale Abhängigkeit von Institution und Stadt sowie deren Raum reflektiert. Gleichzeitig verweist er auch auf die Produktion und den Wert von Kunstobjekten: Damit Kunstgegenstände lebensfähig sind, müssen sie in den öffentlichen und sozialen Raum einer Institution überführt und exponiert werden – also vom Studio in die Öffentlichkeit. Ähnlich wie bei seiner filmischen Arbeit, für die Poledna mit Spezialisierten aus der Filmindustrie oder anderen Produktionszusammenhängen arbeitet und wo nichts dem Zufall überlassen wird, interessiert ihn auch bei der Tapisserie der Aspekt, es bei Måås-Fjetterström mit einer Gestalterin höchster Spezialisierung zu tun zu haben.
Måås-Fjetterström, die insbesondere für ihre dekorativen Teppiche bekannt ist, in denen sie nordische Traditionen mit modernistischen Ansätzen verbindet, war eine der führenden schwedischen Textilkünsterinnen des frühen 20. Jahrhunderts und somit Zeitgenossin von anderen wesentlichen Protagonistinnen der Textilkunst jener Zeit, wie der Bauhaus-Künstlerin Annie Albers oder der irischen Architektin Eileen Gray, aber auch der Malerin Hilma af Klint. Måås-Fjetterströms Teppiche und Tapisserien werden entgegen eines auf rasche Umsetzung und Effektivität ausgerichteten Fortschrittversprechens auch heute noch in aufwendiger und langwieriger Handarbeit von speziell dafür Ausgebildeten und entsprechend ihrer detaillierten Vorgaben produziert. Zugleich handelt es sich dabei um einen luxuriösen Gebrauchsgegenstand, der obgleich von einer Künstlerin entworfen, bislang selbst nicht als autonomes Kunstwerk wahrgenommen wurde, nun aber in einem musealen Kontext in Erscheinung tritt. Der in der Ausstellung zu sehende Wandteppich von Måås-Fjetterström wurde 1988 von Birgit Svensson und Birgith Nilsson, ihrerseits prominente Textilkünstlerinnen in der nach wie vor aktiven Werkstatt von Måås-Fjetterström, nach originalen Vorlagen handgewebt.
Weitere Ebenen, die Poledna verhandelt, sind die Handwerklichkeit des Designs selbst sowie auch hier die Thematik der Modernität. Er bezieht sich nicht nur auf die Bedingungen der Produktion und des Ausstellens, sondern auch auf eine langwährende Geschichte der künstlerischen Auseinandersetzung mit Handwerk, Form und Funktionalität, für die nicht zuletzt Wien seit der Jahrhundertwende ein zentraler Ort war. Mittels seines konkreten Sammelns, Anordnens und Herstellens von Referenzen nimmt er nicht nur laufend wie unter einem Brennglas Anleihen an der Kunst, Kultur- und Designgeschichte, sondern zeigt an ausgewählten Artefakten, wie die Moderne in den verschiedensten Ausdrucksweisen immer wieder präsent wird.
Die Moderne als Epoche ist zeitlich sehr umstritten und wird einerseits als beginnend mit der Neuzeit (1500) gesetzt, oft aber auch als zeitlich begrenzt, von 1880 bis 1920 / 30 datiert. Es scheint sich bei der Tapisserie zunächst um eine Referenz in eine andere Zeit zu handeln, die nun in die Vergangenheit zu verschwinden droht. Poledna holt sie nicht nur in die Gegenwart zurück, vielmehr zeigt er Bezüge auf: dass nämlich ein modernistischer Entwurf einer schwedischen Textildesignerin von 1928 genau fünfzig Jahre später per Handweben realisiert wurde und schließlich in diesem Jahr ausgestellt wird.
Er legt so Zeugnis von einer komplexen, vielfach ausdifferenzierten, in diesem Fall speziell auch von weiblichen Protagonistinnen getragenen Modernität ab, die sich nicht auf ein singuläres Narrativ reduzieren lässt, sondern international und vielseitig ist und war und vor allem auch noch nicht abgeschlossen ist: sie ist auch und damit in all ihren Brüchen und Verwerfungen zeitgenössisch. Damit setzt er die Tapisserie in den Gesamtkontext der Ausstellung, nämlich wie Modernität in einer Vielzahl von variierenden Herausbildungen immer wieder neu in Erscheinung tritt und beleuchtet hier auch die der Moderne inhärenten verschiedenen Produktionsbedingungen, die aufwendige Einzelproduktionen neben Massenproduktionen parallel laufen lassen.
Örtagården
Märta Måås-Fjetterström
Entwurf 1928, 1988 handgeflochten bei Måås-Fjetterström AB durch Birgit Svensson und Birgith Nilsson, signiert AB MMF Geknoteter Flor, Wolle auf Leinenkette
202 × 302 cm
# 5278 Märta Måås-Fjetterström Archives
Private Sammlung