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My Favorite Shop
2024

Mathias Poledna, My Favorite Shop, 2024

35mm Farbfilm, Lichtton, 10:10 Min.

Courtesy der Künstler und Galerie Buchholz, Köln / Berlin / New York

Rundgang

Mathias Poledna untersucht in seiner Ausstellung in der HALLE FÜR KUNST Steiermark die Verkörperung sowie die Visualisierung von Modernität. Dabei beschäftigt sich Poledna in seiner filmischen Arbeit in Dialog sowohl mit anderen Werken sowie den Räumlichkeiten der Institution stets auch mit Geschichtlichkeit und dem Vermögen, wie Augenblicke zu Geschichte werden. Ferner recherchiert er, wie historisierte Bildökonomien, Dokumente und Objekte sich einerseits auf die Gegenwart beziehen und diese mitbestimmen, zugleich referiert er auf den Prozess der Geschichtsschreibung an sich.

Durch die Prozesse des Sammelns, Sortierens, Kategorisierens und des Ausstellens selbst, die mit der Moderne, als auch den europäischen Expansionen aufkamen, konnten die großen Narrationen der Moderne und von Modernität erst hervorgebracht werden. Polednas Praxis sowie auch das Schreiben von Geschichte zeichnen sich auch als eine Art von Zitieren aus, bei der Objekte, Gegenstände und Textformen aus ihren ursprünglichen Kontexten entrissen werden, um dann anhand einer (neuen) Anordnung dieser Objekte (eine) Geschichte erst erzählen zu können. Genau das verfolgt Poledna in dieser Ausstellung über eine Vielzahl kultureller Anknüpfungspunkte sowie der stetigen Bezugnahmen zu dem, was er – in einem sehr weiten Sinn – als Modernität begreift und schreibt so auch (s)eine ganz eigene Geschichte(n). Schließlich verdeutlicht er, dass jede Ausstellung letztendlich ein Narrativ produziert und inwiefern Ausstellungen eines der wesentlichen Werkzeuge der Moderne und von Modernität sind.

My Favorite Shop
2024

Im großen Saal des spätmodernistischen Baus der HALLE FÜR KUNST Steiermark mit seiner an ein durch Modernität geprägtes kartesianisch anmutendes Rastergitter der Decke befindet sich der in diesem Sommer in Los Angeles auf 35 mm produzierte Film My Favorite Shop (2024) samt seiner Installation, bei der es sich um eine über mehrere Räume der HALLE FÜR KUNST Steiermark erstreckende Arbeit handelt, welche die Architektur der Institution als integralen Bestandteil versteht. Der Film bringt die Syntax von Runway Shows und eine ikonografische Tradition westlicher, religiöser Malerei mit den akustischen Affekten von Pop- und Clubmusic in eine collagehafte Konstellation, die das Spezifische dieser Bestandteile exponiert.

Auch in dieser Arbeit knüpft Mathias Poledna an seine kontinuierliche Recherche öffentlicher Darstellungspolitiken, die Zirkulation von Bildern sowie die kollektive Wahrnehmung an. Er wählt Motive, die sowohl mit kulturellen, als auch ästhetischen Bedeutungen aufgeladen sind und stellt sie so zusammen, dass deren Spezifität zunächst hervorgehoben wird, lässt sie schließlich aber in einer quasiphantasmagorischen Bildwelt derart ineinander zusammenbrechen, dass sie sich jeglicher Kategorisierung entziehen. Der 35 mm Film wird auf eine eigens für die Ausstellung produzierte, sich durch den Saal längsziehende Wand gestrahlt, die nur von der Vorderseite bespielt wird. Vor der Wand befindet sich eine der von ihm für die Ausstellung gestalteten Bänke; der Film-Projektor ist im Nebenraum angebracht.

Die filmische Arbeit erinnert zunächst an eine fashion show und die Elemente, die als grundlegend damit assoziiert werden: ein erhöhter Laufsteg, bühnenartige Beleuchtung, als weiblich lesbare Models in dafür speziell angefertigter Kleidung, gezielt eingesetzte Musik. Für den Soundtrack hat Poledna einen psychedelischen Folksong der 1960erJahre, der von einem Geschwister-Duo im Teenageralter mit Hilfe eines bekannten Jazzproduzenten aus der Bay Area aufgenommen wurde, gemeinsam mit anderen Elementen in Form eines Edits der späten 1990erJahre neu konfiguriert: eine Technik aus Dance und Clubmusic, die die Dramaturgie des Films entscheidend bestimmt.

Während der Film läuft, ist der Raum dunkel, sobald er endet, bleibt es eine Zeitlang hell. So wird die filmische Arbeit von einem Lichtsystem überzeichnet; der analoge Projektor ist mit dem digitalen Lichtsystem ebenso verbunden wie mit der Technik des Hauses – und damit in die Programmierung als Ganzes eingebunden. Das Theatralische der Modeschau wird damit ebenso verstärkt, wie ihr performancehafter Charakter.

Die eng geschnittenen Sequenzen zeigen ein, gelegentlich zwei Models, die teilweise aus größerer Distanz, manchmal aus unmittelbarer Nähe auftauchen und sich auf prototypische Weise entlang des Laufstegs bewegen. Von einer mobilen Kamera begleitet, erscheinen sie bisweilen flüchtig und schwerelos im Ausschnitt der filmischen Bilder.

Die von ihnen getragenen und damit präsentierten, speziell für den Film entworfenen Kleidungsstücke sind von zeitloser Eleganz und erinnern entfernt an Tuniken der griechischen oder römischen Antike und zugleich an uniformhafte Überwürfe wie sie, wenn auch ästhetisch weniger verfeinert, in Institutionen der Heilung oder der Disziplinierung in Erscheinung treten könnten. Einheitlich gestaltet, erscheint dieses Kleidungsstück in einer Reihe von prägnanten Farbtönen, die eine Art Farbpalette oder ‑reihe nahelegen. Schließlich tritt jedoch ein von einem der Models getragenes Accessoire in Erscheinung, das sich unvermutet als der abgetrennte Kopf einer männlichen Person vernehmen lässt.

Diese von einem auf die Herstellung von hyper-realistischen Requisiten spezialisierten Studio in Hollywood eigens für den Film produzierte Skulptur legt historische und kunsthistorische Bezüge nahe, insbesondere auch zu Charakteren der Antike und biblischen Erzählungen und deren malerischer Darstellung: etwa zu David mit dem Haupt des Goliaths bei Michelangelo Merisi da Caravaggio (15711610) an der Schwelle zum 17. Jahrhundert. Es lassen sich auch ikonographische Bezüge zu Judith und Holofernes darstellen, die schon in zahlreichen Variationen abendländischer Werke in Kunst, Musik und Literatur insbesondere seit der Renaissance wie etwa von Andreas Mantegna, Sandro Botticelli, Lucas Cranach dem Älteren, Michelangelo Merisi da Caravaggio und Jan van Biljert sowie auch schon in mittelalterlichen Malereien dargestellt wurden.

Bei David und Goliath steht die Allegorie im Raum, dass der Schwächere seine Klugheit und seinen Verstand im Kampf gegen den körperlich Stärkeren einsetzt, um diesen zu besiegen. Auffällig ist natürlich auch, dass dieser bärtige und und mit langen Haaren versehene Kopf eines Mannes mittleren Alters von einer wesentlich jüngeren, weiblich konnotierten Person getragen wird. Judith erschlägt Holofernes (16121613) der italienischen Künstlerin Artemisia Gentilischi (15931654) ist eine der ersten malerischen Darstellungen der biblischen Geschehnisse um Judith und Holofernes aus der expliziten Perspektive eines female gaze. Obwohl hier vermeintlich eine Szene aus dem christlichen Kanon zu sehen ist, vermuten KunsthistorikerInnen, dass Gentilischi sich selbst als Judith und ihren Mentor Agostini Tassi als Holofernes darstellte; letzterer stand wegen ihrer Vergewaltigung vor Gericht und wurde verurteilt.

Als naheliegendster Bezugspunkt des enthaupteten Kopfes in Poledna’s Film muss aber wohl auch an die Ikonografie um Johannes den Täufer gedacht werden, dessen abgetrenntes Haupt ebenfalls von Michelangelo Merisi da Caravaggio Anfang des 17. Jahrhunderts und unzähligen KünstlerInnen vom Spätmittelalter und der Renaissance an bis hin zur Moderne des 19. Jahrhunderts dargestellt wurde. Neben diesen malerischen Traditionen erinnert dieser Trompe‑l’oeil und realistisch anmutende Kopf aber auch an Ausstellungen von Wachsfiguren, wie sie insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert eine starke Verbreitung erfuhren und somit zugleich an die Praxis, Totenmasken als Erinnerungsstücke bedeutender Persönlichkeiten anzufertigen.

Poledna verdeutlicht, dass sowohl Erinnerung, als auch Geschichte und ihr Erzählen nicht als teleologisch gefasst werden können. Indem er Motive verschiedener Epochen und Zeitlichkeit in seiner Arbeit kombiniert, hier insbesondere Ereignisse mit Eventcharakter wie eine Modeschau, die dem 20. / 21. Jahrhundert zuzuordnen ist, die Ikonografie der Antike sowie weitere kulturindustrielle Elemente, wie die Musik, die ebenfalls in der Gegenwart zu verorten sind, zeigt er, dass Diskontinuität grundlegend für die Konstruktion von Geschichte ist.

Narrationen und Geschichte basieren so auf einem Verfahren des radikalen Bruches, indem Bilder und andere Medien in einen anderen Kontext gesetzt und so auch ganz neu angeordnet werden. Gleichzeitig aber kommt hier auch der Gedanke des Archivs wieder ins Spiel, denn natürlich hängen auch diese mit der Praxis des Sammelns und Ordnens, dem Entstehen von Kuriositätenkabinetten, botanischen Gärten und anderen Sammlungen zusammen, die mit der Naturgeschichte im Zeitalter der Klassik an der Schwelle zum 17. Jahrhundert aufkamen und seither grundlegend sind. Jacques Derrida zufolge ist ein Archiv nicht nur eine Sache der Vergangenheit, sondern insbesondere auch grundlegend für die Zukunft. In diesem Sinn erzeugt Poledna in seiner Arbeit auch Möglichkeiten und potentielle Transpositionen.

Bei dem abgetrennten Kopf handelt es sich ferner um ein Motiv der Kunst in vielen Kulturen, die von der Antike bis hin zu der heutigen Bilderüberflutung reicht und die an den Schnittpunkten von Gewalt und Symbolik stehend, Faszination, Ehrfurcht, Horror und Abscheu gleichermaßen hervorruft. Wurden sie in den 1970er-Jahren zunächst in der Kulturindustrie aufgegriffen, etwa in Produktionen des europäischen Regietheaters“ oder auch in Pier Paolo Pasolinis Recherchen des Archaischen sowie populären Giallo- und Splatterfilm-Genres, fanden sich in den 2010er-Jahren auch reale Horrorvideos, als vom Islamischen Staat abgetrennte Köpfe von Ermordeten oft in Video-Form verbreitet wurden. Polednas Verhandeln von Moderne und Modernität erfasst somit auch deren inhärente Gewalt sowie das mit ihr einhergehende Aufkommen von Gegenmodernitäten.

Poledna untersucht pop-kulturelle Phänomene anhand von kunsthistorischen Verweisen sowie Bezügen zu Mode- und Musikgeschichte, ferner die für ihn paradigmatische Thematik dessen, wie sich Modernität interdisziplinär und in verschiedensten Artikulationen spartenübergreifend immer wieder (neu) manifestiert. Der Film kann aber auch als Verweis auf den sich immer in Bewegung stehenden und stets auf Neues ausgerichteten Kunst- und Kulturbetrieb sowie der Werbe- und Modeindustrie gesehen werden, bis hin zu dem für Kunst und ihre assoziierten Bereiche benötigten Setting und den Rollen, den sich ihre ProtagonistInnen und ihr Publikum zugewiesen fühlen. Hier greift der gerne als rigoroser Konzeptkünstler gesehene Poledna auch seine eigene Position innerhalb dieses Gefüges auf und bleibt dabei doch seiner Geschichte und seinem komplexen Verständnis von kultureller Produktion treu. Gleichzeitig hinterfragt er disziplinäre und in Dualismen gesetzte Grenzen und verweist auf deren Überschneidungen. Ist nicht auch ein Kinosaal letztendlich einem Künstlerstudio ähnlich? Wie beeinflussen sich die Mode- und die Kunstwelt und in welcher Interaktion stehen sie mit der Architektur und der Musikindustrie?

Ausgehend von dem Film und dem installativen Zusammenhang, in dem dieser präsentiert wird, hat Poledna weitere Werke gewählt, darunter eine 1928 von Märta Måås-Fjetterström entworfene textile Arbeit, die in der Apsis zu sehen ist, sowie eine Serie von Arbeiten fotografischer Herkunft aus dem Zusammenhang der europäischen Automobilindustrie der Nachkriegszeit, die im Untergeschoss der HALLE FÜR KUNST Steiermark ausgestellt ist.


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Mathias Poledna, 2024
35mm Farbfilm, Lichtton
10:10 min
Courtesy der Künstler und Galerie Buchholz, Köln/​Berlin/​New York