Einführung Mathias Poledna
Das Thema der Modernität und wie sich diese historisch artikuliert und in ständig verändernden Formen in Erscheinung tritt, ist ein wesentlicher Bezugspunkt für die künstlerische Arbeit von Mathias Poledna, dem auch in seiner neuen Ausstellung in der HALLE FÜR KUNST Steiermark eine zentrale Rolle zukommt. Er reflektiert dieses Interesse sowohl mittels der Ausstellungsarchitektur des spätmodernistischen Baus, indem er seinen jüngsten, in diesem Rahmen neu produzierten Film My Favorite Shop (2024) als Installation mit einem von der schwedischen Textilkünstlerin Märta Måås-Fjetterström 1928 entworfenen Teppich sowie einer Serie von auf historischen Fotografien basierenden Arbeiten kombiniert und mit den Räumlichkeiten des Hauses in Dialog treten lässt. Darüber hinaus ist dieses Augenmerk auch vor dem Hintergrund seiner fortwährenden Auseinandersetzung mit institutionskritischen künstlerischen Ansätzen der 1960er- und 1970er-Jahre zu verstehen. Und wie häufig in seinen Filmen lassen sich auch in dieser neuen Produktion vielfältige Bezüge zur Kunstgeschichte und zu Erscheinungen der Populärkultur ausmachen.
Wie schon in früheren Arbeiten, darunter Actualité (2001), Western Recordings (2003) und Version (2004), in denen er auf die Musikindustrie referiert oder auch Crystal Palace (2006), in der er einen Urwald in Papua-Neuguinea filmt, passiert jene Verknüpfung mit Modernität auf nahezu opake Art und Weise. Es ist fast möglich, zu argumentieren, dass Poledna in diesen Arbeiten eine spezifische Visualität aufgreift und sie bewusst als ein Werkzeug nutzt: Seine Beschäftigung mit Bildökonomien spiegelt eine normative Ebene, die in gewisser Weise verschleiernd arbeitend, auch die dunklere Kehrseite der westlichen Moderne samt ihrer Gewalt und ihren Brüchen reflektiert, ohne diese explizit zu benennen. Durch sorgfältige Auswahl, Verdichtung und Reduktion von Bildern, die teilweise deren Negation erreichen, schafft Poledna, dass seinen Bildwelten eine phänomenologische Dimension inhärent ist, die über gängige Vorstellungen hinausweisen. Modernität wird nicht als eine historische, abgeschlossene und in sich klar definierte Epoche gesehen.
Damit einhergehend ist auch eine Hinterfragung der mit der Modernität entstandenen Ausstellungspolitiken, die der 1951 /52 errichtete Pavillon der HALLE FÜR KUNST Steiermark insbesondere samt seiner Architektur, seiner Räumlichkeiten sowie seiner Platzierung innerhalb des Stadtraumes von Graz und so innerhalb der zentralen, konkret urbanen Architektur wie der Parkanlage, vorfindet. Die britische Ethnologin Sharon MacDonald spricht in diesem Kontext auch von politics of display, um darauf hinzuweisen, dass Institutionen und Museumsausstellungen nie unabhängig von Politik und anderen wirtschaftlichen Zusammenhängen gesehen werden können und insbesondere die Unterteilung von Natur- und Kunstgeschichte immer in Anbetracht der großen Narrativen der Moderne, wie etwa Fortschritt und dem Entstehen von Nationen gesehen werden müssen und daher nie neutral und vor allem auch konstruiert sind; so auch das Verständnis von modern respektive zeitgenössisch versus traditionell. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich Poledna mit Geschichtlichkeit(en) und nicht nur mit der Kontingenz der Moderne selbst, sondern auch mit der von Institutionen und Museen, wobei er ein teleologisches Geschichtsverständnis hinterfragt. Er untersucht, wie sich Modernität interdisziplinär und in verschiedensten Artikulationen spartenübergreifend immer wieder (neu) manifestiert und kombiniert in seinen Recherchen verschiedenste Medien und Objekte zu seiner ganz eigenen Praxis des multimedialen Zitierens und des Archivierens. Zitierbarkeit impliziert hierbei, die Vergangenheit auszuloten und diese wie ein Archiv zu verstehen, um sie als Grundlage und Möglichkeit für die Zukunft zu denken, die sich von der Gegenwart abheben kann. Dabei wirken weder Geschichte noch Erinnerung als in sich geschlossene oder nicht transformierbare Konzepte, sondern als fragmentiert und von Diskontinuitäten geprägt. Genau das aber biete auch Potential für Transformationen.
In Österreich ist die Moderne oft mit ganz anderen Konnotationen behaftet, als etwa in Großbritannien, Italien, den USA oder auch in Brasilien. Hier ist sie eher als linker Gegenentwurf zu konservativen Tendenzen, die das Habsburger Reich zu rekonstruieren wünschten, zu verstehen. Sie war vielmehr ein Gegenmodell zu den faschistischen und autoritären Strömungen des frühen 20. Jahrhunderts und nach dem Zweiten Weltkrieg eine liberal-progressive Agenda gegen das totalitäre Entsetzen des Nationalsozialismus, aber auch gegenüber der Sowjetunion. Der Bau der HALLE FÜR KUNST Steiermark von den hier aktiven Alliierten, den Briten angeregt, war eine der ersten Kulturbauten nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Moderne hielt so auch in das Bauwesen Einzug. Während in Österreich eher ein Skeptizismus gegenüber der Moderne herrschte, scheint Poledna sie auf Grund ihrer politischen Dimension in Österreich positiver zu verhandeln.
Ausgehend von den räumlichen Besonderheiten der HALLE FÜR KUNST Steiermark verknüpft Poledna zudem verschiedene Abstraktionsebenen, darunter die komplexen Beziehungen zwischen Institutionskritik und neo-konzeptuellen Strategien. Während die erste Generation der Institutionskritik der späten sechziger und siebziger Jahre, darunter Künstler wie Michael Asher, Daniel Buren und Dan Graham konzeptuell geprägte Methoden der Kunst sowohl immaterieller, als auch physischer Natur auf institutionelle Strukturen anwendeten, die Ausstellungspraxis, die angebliche Neutralität von Architektur und die Nähe von Institutionen zur Wirtschaft hinterfragten und eher ortsspezifisch arbeiteten, war eine sogenannte zweite Welle der Institutionskritik in den 1990-Jahren mit ProtagonistInnen wie Tom Burr, Renée Green, Andrea Fraser und Fred Wilson mehr an vorherrschenden Methoden der Wissensproduktion und ‑verbreitung in Museen interessiert und so an Klassifikationsakten oder der impliziten Rolle, die KünsterInnen zugeschrieben wird.
Bei Poledna lässt sich hier auch ein Zusammenhang mit dem in den 1990er Jahren von Peter Weibel und James Meyer inaugurierten Begriff der Kontextkunst herstellen, der eine Vielzahl von Ausstellungen von 1993 beschreibt, welche institutionskritische Ansätze mit ideologiekritischen und sozial engagierten künstlerischen Praktiken erweiterten. Hier ging es vordergründig darum, eine Kontinuität der institutionskritischen Fragen bezüglich der Produktions‑, Präsentations- und Distributionsmechanismen des Kunstsystems im Zeitalter des Spätkapitalismus zu etablieren und so auch zu einer selbstreflexiven Rolle des Künstlerdaseins anzuregen. Schon in früheren Arbeiten hat sich Poledna reflexiv auf historische Momente der Konzeptkunst und der institutionellen Kritik bezogen.
Auch in dieser Ausstellung scheint sich eine paradigmatische Iteration in Polednas Werk zu manifestieren, nämlich, dass die architektonischen und institutionellen Grundlagen, welche die angenommene Autonomie eines Kunstwerkes garantieren, bewusst verschärft und damit de facto zu einem eigenen Ausstellungsgegenstand werden, der in einen permanenten Dialog mit dem in diesem Rahmen präsentierten Material tritt. Damit erreicht er, dass die phänomenologische Wahrnehmung etwa seines Filmes nicht von den Bedingungen seiner Vorführung zu isolieren ist.
Diese Auseinandersetzung ist auch in der Lichtregie reflektiert, die Poledna für diese Ausstellung entwickelt hat; sobald der Film beginnt, schaltet sich das Licht automatisch aus, während zum Ende des Films die Musik ausklingt und das Licht angeht. Nicht nur erinnert dieses Setting somit an die Dramaturgie eines Kinosaals, es lässt auch an die Situation eines Clubs denken: wenn das Licht angeht, ist die Party vorbei. Das reflektiert natürlich gleichermaßen die Schnelllebigkeit des Kunstmarkts und verwandter Disziplinen, wie der Mode- und Musikindustrie. In diesem Sinne reflektiert Poledna nicht nur seine spezielle Position als Künstler und wie diese in der Kreativindustrie zu verorten ist, in der er mit Spezialisierten aus unterschiedlichen Feldern zusammenarbeitet und produktionstechnisch aufwendige filmische Arbeiten herstellt, sondern auch, wie er sich selbst in der ephemeren Kunstwelt und der Kulturindustrie bewegt. Wie seine hochästhetische und präzise Formsprache offenbart, stellt er sich dabei auch selbst gegen die Schnelllebigkeit der Massenproduktion, indem er konzise arbeitend seine filmischen Werke in der Regel in einem Abstand von einem bis zu mehreren Jahren schafft.
Darüber hinaus hat Poledna auch die Corporate Identity der HALLE FÜR KUNST Steiermark einer Revision unterzogen, so dass diese nicht nur in der Institution selbst, sondern auch im Stadtraum eine neue Wahrnehmung generiert, denn so weichen der Schriftzug und die Gestaltung von Plakat, Einladung und allen anderen Medien, die in schwarz-weiß gehalten sind, von der jetzigen visuellen Identität der HALLE FÜR KUNST Steiermark ab.
Insbesondere das Sujet des Plakats, das den fragmenthaften Kopf einer Kalksteinskulptur aus dem Mittelalter zeigt, genaugenommen den Kopf des Königs David, die circa 1145 nach Christus angefertigt wurde und so eine direkte Verbindung zur Frühgeschichte der Kunst, zu den Artefakten und Brüchen ihrer Geschichte, aber auch zu seiner eigenen Geschichte und dem neuen Film herstellt, kann so als ein emblematisches Zeichen für eine Offenlegung seiner Praxis sowie seines Oeuvres selbst gelesen werden, die er hier in der Ausstellung in der HALLE FÜR KUNST Steiermark in Graz, einer Stadt, mit der er selbst autobiografisch einiges verbindet, ausrichtet.