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Saal 1 [1-11]

Katherine Bradford, Couple No Shirts, 2018

Acryl auf Leinwand, 152,4121,9 cm

Courtesy Jerry Speyer, New York

Katherine Bradford, Superheroes, 2020

Acryl auf Leinwand, 172,7203,2 cm

Courtesy J.J. Murphy & Nancy Mladenoff, New York

Im großen Saal der HALLE FÜR KUNST befinden sich Werke aus verschiedenen New Yorker Sammlungen, die Katherine Bradford seit 2015 angefertigt hat, mit für die Künstlerin zentralen Motiven: Von Superheld:innen zu Held:innen des Alltags bis zu eher unbestimmt wirkenden Personen stellt sie Gemeinschaften und Individuen dar, die diverse Communities und ihre Konstellationen erst möglich machen und hervorbringen.
Bradfords Figuren nehmen die unterschiedlichsten Positionen an; Perspektive fehlt entweder vollständig oder ist verzerrt. Bradford schafft einerseits mystische Figuren, aber ist stets auch von ihrer direkten Umgebung sowie Alltagssituationen inspiriert. In ihrer Darstellung des Gemeinschaftlichen geht es ihr immer auch um die Interaktion von Körpern, einerseits ihr Zusammenkommen, andererseits auch ihr wechselseitiges Ausweichen. Interessant ist bei ihren Arrangements um Portraits und Gemeinschaften die immer wieder technisch variierende Art des Malens, als würde der Inhalt die Machart beeinflussen.
In Couple No Shirts (2018) [7] schauen zwei überlebensgroße, sitzende Körper die Betrachter:innen frontal an. Ihre Gesichter weisen keine Züge auf; Augen, Mund und Nase fehlen gänzlich. Während die Gliedmaßen rosa bis violett sind, ist die Kleidung in rot, blau und weiß gehalten. Die Haare grün, finden sich Bradfords Figuren vor einem dunkelvioletten Hintergrund wieder. Die in der Tradition der Farbfeldmalerei und eines lose abstrahierten Expressionismus stehenden Figuren lassen Einflüsse auch von Mark Rothko erkennen: die Körper, ihre angedeutete leichte Kleidung, selbst das Haar und die Möbel entwickeln sich aus Farbflächen. Bradford integriert in der Regel eine (oder mehrere) Figur(en), wohingegen die historischen Protagonist:innen des Color Field Painting klar jeglichen Hintergrund oder Ansätze von Gestalten vermieden.
Durch die Verflechtung von Abstraktion mit Figurativem transformieren sich die Körper zu dem Stil, der für Bradford unverkennbar ist. Subtile Variationen in Geste und Größe, was die Proportionen der Körper angeht, unerwartete Überbetonungen in der Form sowie Verlängerungen oder Verdickungen von Gliedmaßen sind hier augenscheinlich. Ähnlich wie in Henri Matisse’s Interieurs dient auch Bradford diese variable Komprimierung respektive Vergrößerung dazu, die sie umgebende dreidimensionale Welt auf eine zweidimensionale Oberfläche zu übertragen.
Die Unbestimmtheit der Körper konfrontiert die Betrachter:innen auch mit Fragen bezüglich der Identität. Durch das Fehlen von Gesichtszügen sowie anderer Merkmale, die für das vermeintliche Geschlecht stehen, ist eine Kategorisierung bezüglich der Identität der dargestellten Protagonist:innen nahezu unmöglich. Ganz bewusst lotet Bradford die Grenzen, die von Konstruktionen wie Gender ausgehen, neu aus. Die Unbestimmtheit der Geschlechter, wie sie durch Bradfords Körper dargestellt wird, ist gleichzeitig ein direkter visueller Beitrag zu fortschrittlichen und zeitgenössischen feministischen Debatten, denen zufolge Gender als fluid verstanden wird.
Mit Superheroes (2020) [5] kreiert Bradford einen zusätzlichen feministischen Beitrag im weiter gefassten Sinne, denn hier sind Superheld:innen abgebildet; das Geschlecht ist nie eindeutig. Katherine Bradford schafft es so, eine visuelle Gegennarration zu einer maskulin dominierten Kunstgeschichte und allgemeinen Geschichtsschreibung, wie sie auch im konkreten öffentlichen Raum in Form von Denkmälern und Statuen vorherrscht, zu erzählen. Bradford stellt Superheld:innen verschiedener Couleur dar, die unter einem gemeinsamen Umhang zu diesem auch ein wenig humorvoll forcierten Held:innenstatus mutieren. Sie deutet darauf, dass es insbesondere Gemeinschaften sind, in denen Individuen stark werden können, statt das Narrativ des Einzelkämpfers weiterzuführen. Durch die Unbestimmbarkeit des Geschlechts handelt es sich auch nicht um eine Gruppe von Superhelden, sondern vier Superheld:innen.
Bradford begann Anfang der 1990er-Jahre männliche Superhelden zu malen, die jedoch zunächst mehr als komikhafte Karikaturen den Heldenkult ins Lächerliche zogen. Ihre bald darauf begonnene Serie der androgyn und feminin gelesenen Superheld:innen und Superwomen hingegen können als eine politische Agenda gedeutet werden.
Auf Grund der riesenhaften Körper ist Bradfords Gemälden stets eine Monumentalität inhärent, die Monumenten gleich auf einem Sockel stehen könnten. Bradford bildet dabei ihr Verständnis einer demokratischen Gemeinschaft ab. Wie die Ausstellung erkennen lässt, geht es nicht um die Verkörperung monumentaler Einzelheld:innen, sondern um die Abbildung von Individuen in diversen Gemeinschaften, in der jede Lebensgeschichte sowohl relevant, als auch interessant ist. Deshalb ist Bradfords Werk auch im Kontext der zeitgenössischen Debatten und Dispute um die architektonische Besetzung des öffentlichen Raums wesentlich: Ähnlich wie Monumente und Denkmäler trägt auch Kunst maßgeblich zum kollektiven Gedächtnis einer Nation und einer Gesellschaft bei.
Bradford hat neben den riesenhaften Körpern ihrer Gemälde 2021 darüber hinaus monumentale Mosaike mit dem Titel Queens of the Night als Kunst im öffentlichen Raum an der L Train Line der Stationen First Avenue und Bedford Avenue in New York inauguriert. Hier wird ihre Intention deutlich, Erinnerungskultur und Kunstgeschichte feministisch, intersektional und inklusiv umzuschreiben.
Diese aufklärerischen, progressiven Interpretationen liegen nahe, obgleich Bradford selbst sich nicht im explizit politischen Sinne verstehen lässt, sondern vielmehr ihre Bilder in ihrer ganzen vielfältigen und vorausschauenden Kraft für sich sprechen lassen möchte.
 

[1]
Water Lady, 2018
Acryl auf Leinwand 
203,2172,7 cm
Courtesy Susan & Michael Hort, New York
 

[2]
Writers, 2019
Acryl auf Leinwand 
203,2172,7 cm
Courtesy Beth Rudin DeWoody, New York
 

[3]
Women under Stars, 2022
Acryl auf Leinwand 
182,9152,4 cm
Courtesy Susan & Michael Hort, New York
 

[4]
View from Below, 2020
Acryl auf Leinwand 
203,2172,7 cm
Courtesy Private Collection, New York
 

[5]
Superheroes, 2020
Acryl auf Leinwand 
172,7203,2 cm
Courtesy J.J. Murphy & Nancy Mladenoff, New York
 

[6]
Stripe Twins, 2019
Acryl auf Leinwand 
152,4121,9 cm
Courtesy Susan & Michael Hort, New York
 

[7]
Couple No Shirts, 2018
Acryl auf Leinwand 
152,4121,9 cm
Courtesy Jerry Speyer, New York
 

[8]
Friends Together, 2024
Acryl auf Leinwand 
121,9291,44 cm
Courtesy Katherine Bradford, New York
 

[9]
Bus Stop, 2021
Acryl auf Leinwand 
182,9152,4 cm
Courtesy Matthew Astrachan and Janna Haroche, New York
 

[10]
Man in Tub with Legs, 2018
Acryl auf Leinwand 
152,4182,9 cm
Courtesy Susan & Michael Hort, New York
 

[11]
Mme Matisse, 2018
Acryl auf Leinwand 
203,2172,7 cm
Courtesy Susan & Michael Hort, New York