5. Tyrannis

Seit 2016 steht in der nordmazedonischen Hauptstadt Skopje auf dem Hauptplatz ein gigantischer Brunnen mit riesigen Bronzestatuen. Für den Transport und die Herstellung der in Italien gegossenen Skulpturen wurden weder Kosten noch Mühen gescheut. Das zu Ehren Alexander des Großen geschaffene Denkmal zeigt nicht nur den antiken Heerführer in etwa 20 Metern Höhe, der mit erhobenem Schwert nach Osten reitet, sondern auch dessen Flankenschutz: vier brüllende Löwen. Der sinnliche Genuss dieses öffentlichen Kunstensembles wird durch eine periodisch gespielte populäre Melodie von Richard Wagner, dem ​„Walkürenritt“ (1851), noch perpetuiert. Während der sogenannten ​„Bunten Revolution“ im Jahr 2016, als die mazedonische Opposition gegen den zunehmend autoritär regierenden Nikola Gruevski auf die Straße ging und Farbbeutel auf Regierungsgebäude schleuderte, wurden dieser Brunnen und andere Bauwerke, die die damalige Regierung in einem eklektischen Stilmix errichtet und umgestaltet hatte, von der Polizei geschützt, um deren Bewurf mit Farbpatronen zu verhindern.

Jeder der vier Löwenköpfe, die sich in vier Himmelsrichtungen am Rand des Brunnenbeckens befinden, steht in einem mit Wasser gefüllten Eimer. Darüber hinaus sind sie jeweils mit einer kleinen Pumpe und Licht versehen, so dass sie eine Art Miniaturwasserspiel bilden und damit auf den Brunnen verweisen. Beim Nähertreten wird das Wasserspiel der Brunnenelemente in Gang gesetzt, und die Melodie des Walkürenritts erklingt.

Kapfers Rekonstruktion verliert nicht nur die Exorbitanz, die dem Brunnen in Skopje anhaftet, sondern auch das Martialische, das mit dem Walkürenritt assoziiert werden kann. Das Musikstück stammt aus Richard Wagners Opernzyklus Der Ring des Nibelungen (1874) und wird dort im zweiten Teil vor der ersten Szene des dritten Aktes gespielt. Das Stück illustriert die Ankunft der fliegenden Rösser und wurde in der NS-Zeit nicht nur zu Propagandazwecken verwendet, sondern untermalt auch die ikonische Szene von Francis Ford Coppolas Apocalypse Now (1979), in der ein amerikanischer Kampfhelikopter ein vietnamesisches Dorf attackiert.

Die musikalische Illustration der fliegenden Rösser hat sich als durchaus geeignet erwiesen, um dynamische Kampfhandlungen zu unterstreichen. Dynamisch ist aber weder der originale Brunnen, noch Kapfers Nachbildung. Da die musikalische Begleitung somit deplatziert und überzogen wirkt, erhält Kapfers Installation etwas Groteskes und Lächerliches. Genau diese Ironie möchte Kapfer erreichen, denn die Arbeit kann als ein humoristischer Kommentar auf die hier betriebene Heldenverehrung verstanden werden.


Franz Kapfer, Tyrannis, 2014
Sound-Installation mit Licht
Lack auf Holz, Wasserpumpe, Metall, Kunststoff (Wanne)
Maße variabel, 235 x 300 x 230 cm
Courtesy evn sammlung, Maria Enzersdorf