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4. Virus

Franz Kapfer, Virus, 2016

4‑teilige Installation
Lack auf Holz, Scheinwerfer
Maße variabel, je 2301100,5 cm

Courtesy der Künstler

Virus ist nach dem Türbeschlag des Louvre aus Ich oder das Chaos die zweite Arbeit der Ausstellung, die einen geografischen Bezug zu Paris herstellt. Für Virus hat Kapfer schmiedeeiserne Sicherheitsgitter von Balkonen (sog. Pariser Fenstern) abgepaust und maßstabsgetreu nachgebaut. Diese Dekorelemente aus dem 19. Jahrhundert stammen aus der groß angelegten Regulierung Paris durch den Präfekten und Stadtplaner Haussmann, die von Napoleon III. in Auftrag gegeben wurde, um das kaum beherrschbare Gassengewirr durch großzügige, übersichtliche Avenuen zu durchsetzen und seine Armee in der Stadt aufmarschieren lassen zu können.

Bei den von Kapfer fokussierten Pariser Fenstern handelt es sich um Gitter, deren Spitzen insbesondere für die Architektur im neuen Stadtbild eine andere Funktion jenseits ihres Erscheinungsbildes erfüllen. Die spitzen Dornen in floraler Anmutung waren in ihren Variationen ursprünglich zur Abwehr gedacht. Das Pariser Großbürgertum intendierte, sich mit dieser Vorkehrung selbst und vor allem seinen Privatbesitz auf den nun großzügig angelegten, lichtdurchfluteten Straßen zu schützen. Man kann sich diese verzierten und spitzen Gitter vielleicht wie eine Art Membran zwischen den niedrigeren Gesellschaften und dem Großbürgertum des vorletzten Jahrhunderts vorstellen. Die innergesellschaftlichen Konflikte des post-revolutionären Frankreichs wurden lange Zeit durch die Gräuel des Ersten Weltkriegs verdeckt, wodurch diese Zeit oft einer starken Idealisierung unterlag. Auch die belegte Gewalt der napoleonischen Kriege führte dazu, dass die Grausamkeiten während der verschiedenen französischen Revolutionen oft verschleiert und erst langsam aufgearbeitet wurden.

Die verschnörkelten Gitter sind darüber hinaus Zeugen ihrer Zeit und lassen sich als einen historischen Vorläufer für defensives Design beschreiben, durch das sowohl öffentliche und halbprivatisierte Orte, Flächen und Gebäude so angelegt werden, dass sie bestimmte Menschen oder Gruppen ausschließen oder deren Nutzung für bestimmte Individuen unmöglich machen. Ein gängiges Beispiel für eine solche Praxis ist das Gestalten von Armlehnen an öffentlichen Bänken, so dass sie nicht als Schlafplatz von etwa Wohnungslosen genutzt werden können. Ihre verschnörkelten Formen maskieren somit ihre Exklusivität und die ihnen innewohnende strukturelle Gewalt.

Wie im ersten Raum der Ausstellung inszeniert Kapfer mittels einer starken Glühlampe einen Schattenwurf, so dass die wie Mobiles gehängten Gitter als Schatten an Wand und Boden eine Vervielfältigung erfahren. Der Titel Virus ist der Versuch, der vermeintlich organischen Form der Gitter eine andere, wesentlich negativere Lesart zu geben und zu verdeutlichen, dass diese sich virusgleich auf der Erde ausbreiten.


Franz Kapfer, Virus, 2016
4‑teilige Installation
Lack auf Holz, Scheinwerfer
Maße variabel, je 2301100,5 cm
Courtesy der Künstler