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4. Performance

Isabel Lewis, Total Romance: Partial Repair, 2022

Performance im Rahmen einer Residenz am Schauspiel Leipzig

Foto: Harriet Meyer

Die an zwei Tagen stattfindende Performance Total Romance: Partial Repair von Isabel Lewis und Dirk Bell in der HALLE FÜR KUNST Steiermark wird von vier Performer:innen ausgeführt. Es handelt sich bei der Performance und der aus ihr resultierenden oder vielmehr mit ihr in Interaktion stehenden Ausstellung Ever/​Repair um eine Erweiterung der performativen Praxis von Lewis, zu der sie zuletzt auch Bell kooperativ einbezogen hat und so insbesondere darum, Performance in einem anderen Aggregatzustand zu denken.

Die Ausstellung unternimmt den Versuch, die Performance des Künstler:innenpaars über einen längeren Zeitraum erfahrbar zu machen und somit zu archivieren. Vor diesem Hintergrund sollen auch durch die Moderne hervorgebrachte, gängige lineare Konzepte von Zeitlichkeit und Räumlichkeit und deren Einfluss auf intersubjektive und interobjektive Beziehungen hinterfragt werden. Lewis und Bell sind daran interessiert, jene zeitlichen und räumlichen Schemata aufzubrechen, um ein Erlebnis jenseits dieser Kategorien zu ermöglichen, das im Prozess des Machens selbst entsteht.

Damit geht auch eine Zerlegung des seit dem Barock vorherrschenden Bühnenbilds sowie der klaren Grenze zwischen Bühne und Zuschauer:innenraum einher, das mit dem Einzug der Perspektive in die Malerei und so der Technik, mittels der dreidimensionale Objekte und Tiefe auf einer zweidimensionalen Fläche dargestellt werden können, entwickelt wurde. Lewis und Bell demontieren diese seither vorherrschende Bühnensituation dergestalt, dass Performer:innen und Zuschauer:innen einen gemeinsamen Raum teilen.

Die Performance als Teil der Ausstellung ist stark inspiriert von Sylvia Wynters Stück Maskarade (1970): die erste Szene des dritten Akts dient als Textgrundlage der Aufführung in der HALLE FÜR KUNST Steiermark. Gemeinsam mit den beiden Künstler:innen Lewis und Bell werden Vokalist:in, Performer:in und Künstler:in Rupert Enticknap sowie Performer:in und Poledancer:in Yann Slattery auch auf die in-situ entstandene Ausstellungssituation reagieren und in den verschiedenen Szenen gewissermaßen mit ihr spielen. Insgesamt werden an den beiden Tagen zwei verschiedenen Versionen des Stücks aufgeführt: Der erste Abend bildet mit einer kürzeren pointierten Variante den Auftakt, am Folgetag erstreckt sich die Performance über den gesamten Tag.

Wynter verhandelt in Maskarade zugleich die kulturelle Praxis des Junkanoo; basierend auf ihrem Artikel Junkanoo in Jamaica“ (1970) entwickelte Wynter das Stück Maskarade. Die Ursprünge des Junkanoo-Karnevals, der in der Karibik, aber auch in Teilen Mittelamerikas insbesondere um Neujahr zelebriert wird, liegen bei ehemals afrikanischen Versklavten, die in Amerika verschifft wurden. Ähnlich wie bei Lewis und Bells hiesigem Versuch, ihre Performance durch ihre Ausstellung zu archivieren, war auch Wynters kreative Niederschrift von Maskarade davon geprägt, die performative Praxis des Junkanoo archivarisch zu erfassen.

Der Junkanoo-Karneval erlaubte es insbesondere schwarzen, versklavten Körpern innerhalb der kolonialen Welt, soziale Rollen so umzudrehen, dass sie alle Positionen von König:innen, Liebhaber:innen bis Lady respektive Sir innerhalb der Performance besetzen konnten. Diese Tradition setzt sich bis heute fort. Als eine karnevalistische Darbietung, die mit der Idee von Befreiung und Freude operiert, lassen sich soziale und ökonomische Strukturen umdrehen und so auch als eine Praxis des Widerstands lesen.

Das Stück Maskarade muss immer vor dem Hintergrund der relativ jungen Unabhängigkeit Jamaikas (1962) gesehen werden. Insbesondere das Stück, welches auf Anfrage des jamaikanischen Fernsehsenders JBC hin geschrieben wurde, zielte auf die Darstellung der kreolischen Kultur in den Medien ab, sowie auf die Repräsentation starker schwarzer Frauencharaktere, die den neuen modernen Staat ausmachten.

Das Aufgreifen von Tanz im Junkanoo sowie auch in Ever/​Repair ist eine Möglichkeit, sich aus auferlegten, strukturell vorgegebenen Rollen zu befreien. Tanz, Theater und der Karneval in seinen verschiedenen Formen boten stets die Möglichkeit, in andere gesellschaftliche Rollen zu wechseln und so soziale Missstände nicht nur offenzulegen, sondern auch Alternativen zu präsentieren und zu verhandeln.

 

Performances:
5.7.2024 18:00 – 19:00 Uhr und 6.7.2024 11:00 – 17:00 Uhr
Total Romance: Partial Repair