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Architektur

Tempel der Europa, Graz, 2021

Stahlkonstruktion, Styrodur, Dispersion
Variable Maße

Ausstellungsarchitektur, Courtesy HALLE FÜR KUNST Steiermark, Graz; Foto: kunst​-doku​men​ta​ti​on​.com

Tempel der Europa, Graz, 2021

Stahlkonstruktion, Styrodur, Dispersion
Variable Maße

Ausstellungsarchitektur, Courtesy HALLE FÜR KUNST Steiermark, Graz; Foto: kunst​-doku​men​ta​ti​on​.com

Das Gebäude, in dem die HALLE FÜR KUNST heute ihren Platz findet, ist eines der ersten Ausstellungshäuser innerhalb Österreichs, das schon von seiner Planung an als Präsentationsort für zeitgenössische Kunst im Sinne eines idealtypischen White Space vorgesehen war. Das Haus wurde als freistehender und spätmoderner Bau zu Beginn der 1950er-Jahre nach Plänen des Architekten Robert Haueisen errichtet und enthält durch den charakteristischen Stufenbau zum Haupteingang und aufgrund der speziellen Betonung der zentralen Giebelfront klassizistisch hellenistische Anklänge. Um diesen tempelhaften Eindruck noch zu verstärken, wurden anlässlich der Konzipierung der Ausstellung Europa: Antike Zukunft einige gezielte Ergänzungen an der Architektur des Hauses vorgenommen. Teils ikonisch, teils ironisch greifen wir auf die griechisch-antike Bauform des Tempels zurück und wollen damit das Haus architektonisch in Bezug zur retro-fiktionale Themensetzung der Ausstellung setzen.

Vor dem Haupteingang des zum Grazer Tempel der Europa (2021) stilisierten Gebäudes wurde ein dorischer Tempelvorbau angebracht, der aus einer sechsgliedrigen Säulenreihe besteht und sich durch ein speziell ausgeprägtes Relief am Giebelfeld, das die mythologische Figur der Europa auf dem Stier darstellt, auszeichnet. Dieses täuschend echt realisierte Portal ist passgenau der permanenten Architektur, ähnlich einem theatralen Bühnenelement vorgesetzt, es ist bereits von Weitem sichtbar und gibt den Takt der Ausstellungsgestaltung an.

Der Tempel ist das wichtigste Gebäude der griechischen Antike gewesen und diente kultischen Zwecken. Im antiken Griechenland wurde Bauplastik im Tempelbau zu repräsentativen Zwecken verwendet, besonders gerne am Tympanon, dem Giebelfeld, da hier genug Platz vorhanden war um mit monumentaler Plastik die Signifikanz des Tempels zu steigern. Zentral am Tympanon des Tempel der Europa (2021) ist das ikonographische Motiv, der Raub der Europa, dargestellt und spielt auf den antiken Gründungsmythos Europas an: Der griechischen Mythologie zufolge war Europa eine phönizische Prinzessin, die von Zeus in Gestalt eines Stieres entführt wurde.

Weitere Elemente des antiken Tempelbaues können in assoziativer Analogie in der Ausstellungsgestaltung ausgemacht werden: Durch die Säulenfront, Stella, hindurch kommt man in den Vorraum, der im griechischen Tempelbau als Pronaos bezeichnet wird. Im dahinterliegenden Ausstellungsraum wurden zwei sogenannte Anten eingezogen, die eine Abgrenzung zum inneren Hauptraum schaffen, der gleichsam in der Antike als Cella bekannt war. Diese folgte zumeist einer wiederkehrenden Gestaltung, war bunt ausgeschmückt und von diffusem Licht geprägt, das lediglich durch den Eingang nach innen drang. Dort befand man sich vor einer zentralen Götterstatue und dem dahinterliegenden Heiligtum, vor dem alle möglichen Darbringungen standen, was dem Raum wiederum einen teilweise musealen Charakter verlieh. Hinter der Cella und am Ende der Halle befand sich das Opisthodom, eine Rückhalle bei griechischen Tempeln, die symmetrisch zum Pronaos aufgebaut war. Oftmals funktionslos, konnte es bei einigen Tempeln der Aufbewahrung von Kultgeräten dienen. Die im Gebäude ähnlich angelegte Apsis wird so zu einem dem Pronaos entsprechenden Raum auf der Rückseite des Tempels, der im Tempelbau eingesetzt wurde, um Symmetrie zwischen Vorder- und Rückseite herzustellen. Wieder im Außenraum laden ein Trümmerfeld aus Säulenstümpfen zum Verweilen ein und verweisen auf die griechische Agora, den zentralen Marktplatz einer Stadt. Mit wenigen, gezielten Eingriffen in das Gebäude kommt es so zu einer Verschränkung von Architektur und Zeitachsen, die der Ausstellung Europa: Antike Zukunft die entsprechende Bühne bietet.