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Jimmie Durham

Painted Self Portrait, 2007

Mixed media: C‑Print, Farbe
83,5 × 61 cm

Courtesy Christine König Galerie, Wien

Jimmie Durham (*1940 Washington, Arkansas, lebt in Berlin und Rom) arbeitet mit assoziativen Zuschreibungen und lyrischen Vorstellungen, die er in fragile Skulpturen und humorvolle Assemblagen übersetzt. Mitunter setzt er sich auch mit der künstlerischen Gattung des Selbstporträts auseinander, der gegenüber er eine kritische Haltung einnimmt. Er betrachtet das Selbstporträt als ein seltsames Projekt, dem eine gewisse Egozentrik anhaftet, da sich das Sujet meist in der illustrativen Darstellung der eigenen Person erschöpft. Durham sucht mittels seiner Selbstporträts nach alternativen Formen der Selbstdarstellung.

Das Werk Painted Self Portrait (2007) besteht aus einem passbildartigen Foto des Künstlers, welches er mit gelben und roten Streifen so übermalt hat, dass sein Gesicht darauf nicht mehr zu erkennen ist. Allgemein dient das Foto der eigenen Person innerhalb bürokratischer und nationalstaatlicher Strukturen als wichtige Grundlage um die eigene Identität unter Beweis zu stellen. Durham richtet sich jedoch gegen gängige Kontrollmechanismen, die auf die Festlegung des Status einer Person abzielen und wirft Fragen um das Thema der kulturellen Identität auf. Die Übermalung seines Gesichts enthält Parallelen zur Gesichtsbemalung verschiedener nativer Gruppen, womit Durham eine hybride kulturelle Herkunft zum Ausdruck bringt und die Aussagekraft von nationaler und ethnischer Zugehörigkeit im Sinne eines ironischen Anti-Essentialismus in Frage stellt. Durham selbst spielt mit einer (partiellen) Identität als Native American, eine immer wieder hinterfragte Zugehörigkeit, die ihm zuletzt offizielle Vertreter des Tribes Cherokee“ wegen anderslauternder Geburtsunterlagen absprachen. Die bunten Streifen erinnern an die visuelle Kraft einer Länderflagge, ohne dabei jedoch auf eine bestimmte Nationalität hinzuweisen, vielmehr setzt sich Durham über Symbolismen einer staatlichen oder institutionellen Zugehörigkeit und Rufen nach simplifizierender Einigkeit schalkhaft hinweg.

Durhams Selbstporträt wirft Fragen über Identität und Zugehörigkeit auf. Sein dahinterliegendes Denken weist vereinfachende Identitätszuschreibungen zurück und entwickelt einen Ansatz, der Vielseitigkeit, Hybridität und Kosmopolitismus ohne einfacher Zuschreibungen tricksterhaft in Szene setzt.

Three Stones (Core Sample from St. Peter’s Cathedral, Core Sample from European Parliament, Bierstein), 1996

Stein, Holz, Metall, Text auf Papier
83 × 30 × 27,5 cm; 86 × 60,5 × 44,5 cm; 80 × 40 × 40 cm

Courtesy Christine König Galerie, Wien

Jimmie Durham arbeitet oft mit gewöhnlichen Dingen und weggeworfenen Gegenständen, die er in eine narrative Anordnung hin zu seinen detailreichen und darin nahezu fluiden Objekten bringt, und so seine Geschichte und lyrische Sicht der Dinge erzählt. Zu seiner künstlerischen Praxis gehört auch die Verwendung von Steinen, die ihn schon seit seiner Kindheit immer wieder beschäftigen.

Eine museale Präsentation von Objekten beinhaltet klassischerweise immer den Sockel, der den ausgestellten Dingen eine gewisse Würde zusprechen soll und ihnen eine repräsentative Funktion verleiht. Demgegenüber macht die gezeigte dreiteilige Installation von Durham mit dem Titel Three Stones (1996) den Eindruck von Nonchalance. Der Künstler verwendet dafür zwei Gesteinsproben sowie einen steinernen Bierkrug und platziert diese Objekte jeweils auf gebrauchte Beistelltische.

Die zylinderförmigen Gesteinsstücke stellen zwei sogenannte Kernproben dar, von denen eine dem Europaparlament entnommen wurde, während die andere Probe aus dem Petersdom in Rom stammt. Beiden Bauten kommt im europäischen Selbstverständnis ein hoher Stellenwert zu. Umso überraschender ist daher die Auswahl der Objekte und Art der Darstellung, die Durham getroffen hat, um auf diese Institutionen zu verweisen. Der Künstler rückt davon ab, sich in der Oberflächlichkeit der Fassade zu verlieren und repräsentative Materialteile wie beispielsweise Glas- und Marmorpaneele heranzuziehen. Vielmehr nimmt er eine Tiefenbohrung vor und geht damit dem Kern der Gebäude auf den Grund. Stellvertretend für das Parlament verwendet Durham ein Stück Terrazzo, ein Material das schon seit der Antike bekannt ist und aus vielen partikularen Steinstücken besteht, die durch einen umgebenden Bindestoff zusammengehalten werden. Beim Petersdom wird offensichtlich, dass es sich um ein sehr altes Gestein handelt, welches langsam zu bröckeln beginnt.

Die Beschaffenheit der Kernproben symbolisiert demnach verschiedene Kräfte, die eine Bedeutung für die kulturelle Identität Europas haben. Im Vergleich dazu wirkt der verwendete Bierkrug und die am Tisch angebrachte Aufschrift Bierstein“ skurril. Der steinerne Bierkrug erinnert an Brauereiwesen und Volkskultur, zwei Kräfte, die ebenfalls tief im kulturellen Selbstverständnis verankert sind und welche die Bedeutungsschwere der beiden anderen Stücke in der Installation humorvoll untergraben. Die eigens erstellten Verkörperungen des Parlaments und der Kirche scheinen außerdem passgenau in die Öffnung des Bierkruges zu passen. Das lässt an eine ausschweifende Gesprächskultur denken, welche sich um den europäischen Diskurs entwickelt hat. 

Jimmie Durham

*1940 Washington, lebt in Berlin

stellte unter anderem in Soloausstellungen an der Fidelidade Arte, Lissabon; Culturgest, Porto; dem d’Art Contemporain, Villeurbanne / Rhône-Alpes; der Fondazione Adolfo Pini, Mailand; dem Hammer Museum, Los Angeles; dem Whitney Museum of American Art, New York; dem Migros Museum für Gegenwartskunst, Zürich; dem Museo Nazionale delle Arti del XXI Secolo, Rom; dem Museo Querini Stampalia, Venedig; der Serpentine Gallery, London; Parasol Unit, London; dem Museum of Contemporary Art, Vigo; der Visual Arts Foundation Middleburg; dem Bari Teatro Margherita, Bari; der Fundazione Morra Greco, Athen; und dem Palazzo Reale, Napoli aus.

Werke von Durham wurden außerdem in Gruppenausstellungen im Museum of Contemporary Art Antwerpen, Antwerpen; der Kunsthalle Charlottenborg, Kopenhagen; dem Montpellier Contemporain, Montpellier; der 58 Ausgabe der Venedig Biennale, Venedig; dem Museo nazionale delle arti del XXI secolo, Rom; dem Museo d’Arte Contemporanea Donnaregina (MADRE), Madrid; der Villa Medici – Académie de France à Rome, Rom; dem Whitney Museum of American Art, New York, der 6th Moscow Biennale of Contemporary Art, Moskau; und der dOCUMENTA (13), Kassel gezeigt.