Steven Parrino
Das unbetitelte Werk ist Teil von Parrinos Serie der sogenannten Bent Paintings („gebogene Malerei“), die einen wichtigen Bezugspunkt für das Verständnis seiner reduzierten Form von Malerei darstellt. Als Steven Parrino (*1958 New York, †2005 New York) Ende der 1970er-Jahre an der New School in New York studierte, riet man ihm ausdrücklich von der Malerei ab, weil diese von den Kunstkritiker_innen für Tod erklärt worden war. Seine Hinwendung zur Malerei lässt sich daher als etwas Widersinniges begreifen, als ein Aufbegehren gegen jegliche Formen des Dogmatismus. Diese Widerständigkeit steht in enger Verbindung mit Parrinos Interesse an der amerikanischen Subkultur der 1980er Jahre, wie beispielweise des Punk, No Wave und der alternativen Comic-Kultur.
Dementsprechend frei ist auch sein Umgang mit dem Medium der Malerei. Für die älteren Arbeiten der Werkserie Bent Paintings verwendete der Künstler im Müll vorgefundene Kartonplatten, bevor er dann Aluminiumpaneele bearbeitete, die ursprünglich für den Flugzeugbau vorgesehen waren. Die Materialtafeln dienen als Träger für abstrakte, monochrome Malerei, wurden aber gebrochen und geknickt, wodurch der umliegende Raum in die Struktur aufgenommen wird. Obgleich es sich bei dem Verfahren um eine scheinbare Deformierung der Malerei handelt, steht für Parrino diese nicht im Vordergrund. Vielmehr dienten ihm der Bruch oder der Riss als ästhetische Mittel um die Bedingungen des Mediums zu hinterfragen. Dem Künstler ging es dabei vor allem um einen Gegenentwurf zur Kunstauffassung der modernistischen Malerei, welche die Abstraktion als Ausdruck von Reinheit betrachtet und eine Transzendierung der Realität anstrebt. Parrinos selbsterklärtes Ziel war es, diese Auffassung zu erschüttern und die Malerei wieder mit dem Zeitgeist zu verbinden und mit der Unmittelbarkeit der Realität zu konfrontieren.
Schließlich lässt die aus der Biegung resultierende Falte auch auf einen Zwischenraum für neues Denken schließen, der im Riss allerdings auch eine Verweigerung gegenüber der Gesellschaft bis hin zu einem Bruch folgen kann. Die Farbe Blau und die Knicke der Leinwand lassen im Kontext der Ausstellung auch an das vielerorts angespannte Verhältnis um eine gemeinsame Idee von Europa denken.
Das Werk Parrinos zeichnet sich durch eine große Offenheit gegenüber der kulturellen und politischen Situation seiner Zeit aus und schreckt auch vor der Konfrontation nicht zurück. Zentral auf der gezeigten Papierarbeit hat der Künstler in schwarzer Sprühfarbe den Schriftzug „IDIOT“ angebracht und wendet sich damit unvermittelt an sein Gegenüber. Durch die Reduzierung auf die Farben schwarz und weiß, sowie durch die grafische Gestaltung des Schriftzuges nutzt der Künstler eine trashige direkte Ästhetik, die eine deutliche Verbindung mit der New Yorker Musik- und Untergrundkultur aufweisen.
Parrino ist Teil einer Generation gewesen, die mit dem damals noch neuen Massenmedium des Fernsehens in den 1960er und 1970er-Jahre aufgewachsen ist und für die Gewalt allgegenwärtig war. Nicht lange zuvor bot „Amerika“ noch das Bild einer glorreichen Nation, die mehr als jedes andere Land den globalen Siegeszug des Kapitalismus verkörperte. Diese Vorstellung wurde jedoch von den unaufhörlichen Kriegsbildern und der Angst vor der nuklearen Vernichtung nachhaltig überschattet. Parrino richtet das Wort appellativ und dabei fast ein wenig beiläufig an die Öffentlichkeit und benutzt es als Mittel der Abgrenzung gegen eine Einheitskultur. Der Anwurf kann als Ausdruck eines Unbehagens und der Zurückweisung verstanden werden, welcher die unversöhnliche Haltung der Untergrundkultur untermauert und diese gegen die Massenkultur in Stellung bringt. Inwieweit kann sich aber eine minoritäre kulturelle Gruppe gegen die ungeliebten Verhältnisse einer dominanten Massenkultur behaupten? Der damit verbundene Begriff des „Untergrundes“ kann als ein Ausweg gelten, wenn man davon ausgeht, dass die Vereinnahmung der Massenkultur lediglich an der Oberfläche erfolgreich ist und wie hier durch einfache sprachliche Gesten zurückgewiesen werden kann.
Mittlerweile scheint die Dominanz des Mainstreams jegliche gegenkulturelle Lebensformen für sich nutzbar zu machen, was notwendige kritische Debatten um ein zeitgemäßes Zusammenleben unter differenten Gleichen zusätzlich erschwert.
Steven Parrino
zeigte seine Arbeiten unter anderem in Soloausstellungen in The Power Station, Dallas; in der Gagosian Gallery, Paris; am Kunstmuseum St. Gallen, St. Gallen; dem Palais de Tokyo, Paris; am Musée d’Art Moderne et Contemporain, Genf; in der Team Gallery New York; Milano Gallery Jean Brolly, Paris; im Circuit, Lausanne; am Grazer Kunstverein, Graz und am Massimo de Carlo Arte Contemporanea, Mailand.
Seine Arbeiten wurden in Gruppenausstellungen im Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Washington,D.C.; am FRAC Bourgogne, Dijon; im MAC Lyon, Lyon; in der Marlborough Gallery Chelsea, New York; im Art & Public, Genf; im Yerba Buena Center, San Francisco; am Museum of Modern Art, Frankfurt; in der Lyon Biennale, Lyon; am Ludwig Museum, Köln; im Kunstmuseum St. Gallen, St Gallen; in der Tomio Koyama Gallery, Tokyo; am Museum Fridericianum, Kassel; im Centre Georges Pompidou, Paris und im Kölnischer Kunstverein, Köln gezeigt.