Renée Green
Renée Green (*1959 Cleveland, lebt in New York) ist vor allem seit den 1990er-Jahren durch ihre komplexen Installationen bekannt, für die sie unterschiedliche Medien wie vor allem Film, textbasierte Arbeiten und architektonische Elemente verwendet. Sie verfolgt einen kontextsensiblen und kritischen Ansatz, der von der Produktion von Objekten abrückt und stattdessen die Kunst als recherchebasiertes Arbeiten verständlich macht.
Seit 2007 hat Renée Green immer wieder an einer mehrteiligen Serie von Installationen gearbeitet, die den Titel Space Poems trägt. Charakteristisch für die Installationen sind die Stoffbanner in leuchtenden Farben, die über den Köpfen der Besucher_innen hängen und mit Schriftzügen bedruckt sind. Die Künstlerin löst Sprache aus ihrem gewöhnlichen Zusammenhang heraus und verwendet diese als Referenzmaterial, das sie einer räumlichen, grafischen und farblichen Rekontextualisierung unterzieht. Das sprachliche Material wird so Teil eines poetischen Systems und eröffnet den Betrachter_innen eine räumliche Situation, in der diese die Lücken zwischen den Ausdrücken für sich nutzen können.
In der Installation Space Poem #4 verwendet die Künstlerin 40 zweiseitige Banner, auf welchen italienische Namen zu lesen sind. Die Namen beziehen sich auf bekannte Persönlichkeiten aus verschiedenen Bereichen wie der Wissenschaft, der Literatur, der Philosophie, der bildenden Kunst oder dem Film. Aber was sollen diese Namen innerhalb des Werks repräsentieren? Um der Intention der Künstlerin näher zu kommen, muss der ursprüngliche Zusammenhang der Installation mitberücksichtigt werden.
Space Poem #4 ist 2013 im Kontext einer Ausstellung entstanden, die in einem klassizistischen Prunkbau in Rom stattfand und welche die gezeigten Positionen als „Repräsentant_innen“ der Stadt New York darstellte. Greens Beitrag lässt sich als eine Kritik an den Voraussetzungen des gesamten Settings beschreiben, in dem Künstler_innen auf ihre Herkunft reduziert werden und genau wie der symbolische Status der Architektur dazu dienen, ein nationalistisches Bewusstsein zum Ausdruck zu bringen. Während anfangs noch der Eindruck besteht, es handle sich bei den Namen auf Greens Bannern um gebürtige Italiener_innen, stellt sich letztendlich heraus, dass der erste Eindruck falsch ist. Schnell wird klar, dass die Persönlichkeiten zwar italienische Namen besitzen, aber Teil einer italienischen Diaspora sind. Green spielt damit auf die ideologische Engführung des Themas Herkunft an und setzt dieser die Kraft von kultureller Diversität und Pluralismus entgegen. Außerdem weist sie darauf hin, dass kulturelle Leistungen nicht an eine spezifische Nation gebunden sind.
Der Titel der Arbeit, Walking in NYL, bezieht sich auf die Städte New York und Lissabon. Greens digitaler Film verwebt verschiedene Aufnahmen, welche die Künstlerin während ihrer Streifzüge durch die beiden Städte gemacht hat.
Renée Green wohnt hauptsächlich in New York und ist auch mit Lissabon persönlich verbunden. Ihrem Interesse an der Stadt Lissabon hat sie sich in mehreren Videoarbeiten gewidmet, die erste stammt bereits aus dem Jahr 1992 und ist Teil ihres umfangreichen Projektes Tracing Lusitania. Bereits der Titel des Projekts verdeutlicht Greens historischen Zugang: Lusitania ist der Name eines römischen Siedlungsgebietes gewesen, das ungefähr das heutige Portugal umfasst hat. Dies impliziert, dass es Green bei ihrer Untersuchung um Themen wie die Besiedelung von Territorien, das Aufeinandertreffen von Kulturen und die Verschränkung zwischen Gegenwart und Vergangenheit geht. Dabei kommt vor allem den kolonialen Verhältnissen besondere Aufmerksamkeit zu.
Ein wichtiges Bindeglied zwischen der kolonialen Vergangenheit und kulturellen Gegenwart von Amerika und Europa stellt für Green die historische Figur des Christoph Columbus dar. Columbus hat einen kontroversen Stellenwert für den amerikanischen Kontinent und wurde für dessen „Entdeckung“ im Jahr 1992 ausgiebig gefeiert. Ebenfalls von großem Interesse ist für sie die Eroberung des afrikanischen Kontinents durch die Portugiesen im Jahr 1415. All dies schwingt in der Videoarbeit Walking in NYL (2016) lediglich subtil im Hintergrund mit, wie zum Beispiel, wenn sich die Künstlerin durch Straßenzüge New Yorks bewegt oder ihre Kamera auf verfallene Häuser und Strukturen innerhalb eines Wohnviertels in Lissabon richtet. Die verborgenen Verbindungen zwischen dem Vergangenen und der Gegenwart scheinen sich hier förmlich aufzudrängen.
Die Künstlerin referiert auf New York und Lissabon als „Städte am Wasser“, womit sie die Seefahrt und den damit einhergehenden Verkehr von Menschen und Waren als zentral in den Mittelpunkt stellt. Rund um dieses Thema verschränkt Green unterschiedliche historische Aspekte mit der Gegenwart: Straßennamen in Lissabon, die nach afrikanischen Ländern benannt sind, religiöse Prozessionen auf den Straßen von New York, Menschen unterschiedlicher Hautfarben, die in ständiger Bewegung gezeigt werden. All diese Andeutungen lassen eine Ahnung davon aufkommen, wie komplex sich Kulturen zusammensetzen. Green richtet ihren Blick auf das Fortleben historischer Verhältnisse im Heute, sowie auf die transnationalen Verbindungen zwischen Städten und streicht das hybride Wesen von kultureller Identität heraus.
Renée Green
stellte ihre Arbeiten unter anderem in ausgewählte Einzelausstellungen in der Galería Visor, Valencia; dem Yerba Buena Center for the Arts, San Francisco; dem Musée cantonal des Beaux-Arts de Lausanne, Lausanne; der Galerie nationale du Jeu de Paume, Paris; der Galerie Christian Nagel, Berlin; dem Einstein Spaces, Berlin; dem Kunstraum Innsbruck, Innsbruck; dem Baltimore Museum of Art, Baltimore; und dem Museum of Contemporary Art, Los Angeles aus.
Green war in Gruppenausstellungen im Museum Ludwig, Köln; der IG Bildende Kunst, Wien; dem Kunsthaus Graz, Graz; der Manifesta 7 Trentino – Alto Adige 2008, Trentino; der Foundation Manifesta, Südtirol; der Akademie der Künste, Berlin; der Documenta XI, Kassel; dem Haus der Kunst, München; dem Museum Ludwig, Köln; dem Barcelona Centre Georges Pompidou, Paris; der Secession, Wien; dem MOCA, Los Angeles; im Bronx Museum of Art, New York; in den Deichtorhallen, Hamburg; und dem Louisiana Museum of Art, Kopenhagen vertreten.