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Shahryar Nashat

Mother on Wheels (Nero Marquina 1), 2016

Marmor, pulverbeschichteter Stahl, Rollen
88 × 58 × 48 cm

Courtesy der Künstler und RODEO, London/​Piraeus

Mother on Wheels (Nero Marquina 2), 2016

Marmor, pulverbeschichteter Stahl, Rollen
88 × 58 × 48 cm

Courtesy der Künstler und RODEO, London/​Piraeus

Viele von Shahryar Nashats (*1975 Genf, lebt in Los Angeles) Objekten und Installationen untersuchen den menschlichen Körper und seine Verschränkung mit der materiellen Kultur einer Gesellschaft. Der Künstler hat für die beiden Plastiken mit dem Titel Mother on Wheels (2016) jeweils einen hellgrauen Marmorblock auf einen dunkelfarbigen, marmornen Sockel in einem Guss verwendet und diese auf pinke Transportrollplatten gestellt. Marmor ist ein repräsentatives Material von hoher kulturgeschichtlicher Bedeutung und erinnert wie kein anderes an den Ursprung der europäischen Kultur in der Antike. Das kostbare Gestein spielte eine wichtige Rolle im antiken Tempelbau und verfestigte sich in weiterer Folge durch seine Verwendung in der Bildhauerei der Renaissance, wie auch im barocken Kirchenbau im kulturellen Gedächtnis Europas. In den beiden Plastiken des Künstlers stützt ein antiker“ Sockel einer ionischen sowie einer dorischen Säule einen darüber liegenden, passgenauen Marmorblock, der von der reduzierten Formensprache der Moderne geprägt ist. Die kühle Eleganz der europäischen Moderne tritt in solider Verbindung mit einer antiken Basis in Erscheinung. Wie aber ist diese Verbindung zwischen der Moderne und der Antike zu denken? Ist die Antike die Wegbereiterin der Moderne? Oder ist die Moderne unsere neue Antike? Ist der Ursprung unserer zeitgenössischen Kultur ein Hybrid aus beiden?

Anhand der zwei Plastiken von Nashat lassen sich aber auch ganz andere Fragen stellen. Die schweren Blöcke weisen keinerlei leicht formbare oder gar sensible, softe“ Qualitäten auf, sondern wirken unbeweglich und verschlossen. Die pinkfarbene Stahlplatte und die Räder hingegen erhöhen die Mobilität der Plastik. Anhand dieser Komponenten lässt sich darüber reflektieren, welche Dynamiken uns helfen könnten, eine neue und unverbrauchte Perspektive auf unsere“ Kultur und auf Europa einzunehmen. Denn nicht alles ist ewig in Stein gehauen, die Dinge müssen in Bewegung bleiben.

Parade, 2014

HD Video, Farbe und Ton
38 Min.
Regie, Kamera, Bühnenbild: Shahryar Nashat
Choreographie: Adam Linder

Courtesy der Künstler und RODEO, London/​Piraeus; David Kordansky Gallery, Los Angeles; Gladstone Gallery, New York/​Brüssel

Mit der Videoarbeit Parade (2014) hat Shahryar Nashat eine Adaption einer performativen Inszenierung des Tänzers und Choreographen Adam Lindner vorgenommen und ein filmisches Setting für die Bewegungen der Performer geschaffen. Nashat führte Regie, entwarf das Bühnenbild und verantwortete die Kameraführung, während die Choreographie von Linder stammt. Die Arbeit stellt eine zeitgenössische Auseinandersetzung mit dem gleichnamigen, avantgardistischen Stück von Jean Cocteau aus dem Jahr 1917 dar, an dem auch Erik Satie und Pablo Picasso beteiligt waren und das als eines der ersten zeitgenössischen modernen Ballettstücke gilt.

Vor einer vermeintlichen Marmorfassade vollziehen drei Performer_​innen in Anlehnung an eine in Schleife laufende Melodie verschiedene Schrittfolgen und Figuren. Ungewöhnliche Elemente der Inszenierung sind eine Stimme aus dem Off sowie ein grüner Polyeder im Bühnenbild, die sich beide immer wieder an die Darstellenden richten und eine eigenartige Autorität über das Geschehen haben. An einer Stelle sagt die Stimme: Presentation! Promote your self-articulation“, oder: Public promenading is publicity, personified!“. Die Stimme spricht das widersprüchliche Verhältnis unserer individuellen Handlungen zu gemeinschaftlichen Prinzipien der Inszenierung an, aber auch den zunehmenden Zwang zur Selbstinszenierung. Durch die Choreographie von Lindner wird der Mensch als ein Wesen gedacht, in dessen Körper sich Ausdrucksformen einschreiben, die von politischen Kräften wie beispielweise dem Staatswesen geprägt sind. Unter Rückgriff auf die vielschichtigen Bedeutungen des Begriffs Parade“ kombiniert die Arbeit in den Bewegungen der Tänzer_​innen verschiedene Motive aus dem Ballett und dem zeitgenössischen Tanz, aber auch dem Zirkus, der Straßenunterhaltung und dem Dressurreiten. Dabei können verschiedene Momente entstehen, die sich zum einen durch Freiheit und Aggression gegenüber gesellschaftlichen Regularien auszeichnen, während andere auf sozialen Gehorsam und Beschränkung verweisen.

Nicht zuletzt verweist die Arbeit auf den hohen Stellenwert von Schauspiel und Tanz in der Gesellschaft der griechischen Antike, die neben der inmitten des Publikums zuteil werdenden Unterhaltung auch einen hohen staatsbürgerlichen Wert um Teilnahme am öffentlichen Geschehen und kreativer Formen ihrer Kritik entsprachen und darin regelrecht exemplarisch vorführten. Weiters wird vermutet, dass – ähnlich des Settings nach Cocteau – auch die Vorplätze der antiken Theater und Tempelräume einem bunten Treiben glichen, in dem Händler kostbare Waren und Opfergaben für die Darbringung im Tempel anboten und Schauspieler_​innen und Artist_​innen um die Aufmerksamkeit der Besucher_​innen warben.

Shahryar Nashat

*1975 Genf, lebt in Los Angeles

wurde unter anderem in Soloausstellungen am Museum of Modern Art, New York; dem Swiss Institute, New York; SMK, der National Gallery of Denmark, Kopenhagen; Rodeo Gallery, Athen; in der Kunsthalle Basel, Basel; am Carpenter Center for the Visual Arts, Harvard University, Cambridge; im Palais de Tokyo, Paris; im Studio Voltaire, London; und im Kunstverein Nürnberg, Nürnberg gezeigt.

Seine Arbeiten wurden in Gruppenausstellungen in der Auckland Art Gallery, Auckland; dem Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris; The Hunterian Art Gallery, Glasgow; dem Moscow Museum of Modern Art, Moskau; dem Kunsthaus Hamburg, Hamburg; in der Biennale de Montréal, Montréal; in der Biennial of Sydney, Sydney; am Haus der Kunst, München, München; am CCA Wattis Institute for Contemporary Arts, San Francisco; in der 8th Berlin Biennale, Berlin; an der Kunsthalle Wien, Wien; und im Detroit Museum of Art, Detroit gezeigt.