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Post-Surrealismus/Post-Internet

Paul McCarthy, Skunks, 1993

Kunstfell, Metall, Latex, Schaumstoff, 2‑teilig, Sockel: 7694 cm, Skulptur: 20181 cm

Courtesy Deichtorhallen Hamburg/​Sammlung Falckenberg

Wenn wir uns der Gegenwart nähern, treffen wir auf eine Realität, die so bizarr ist, dass jede Satire an ihr abprallt bzw. von ihr überboten wird – von der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten über den Brexit bis hin zu grausamen Diktatoren, die hinter überlangen Tischen sitzen. Aber wenn wir an die Tage des Surrealismus zurückdenken, der nicht zuletzt aus den Traumata des Ersten Weltkriegs hervorging, stoßen wir natürlich auch in früheren Epochen auf bizarre Kombinationen von Grausamkeit und Lächerlichkeit. Post-Surrealismus/Post-Internet führt uns jedenfalls in eine zeitgenössische Welt, in der der Wahnsinn der sozialen Medien, seltsame Störungen und digitales Pastiche die Absurditäten der zeitgenössischen Politik und des Kapitalismus umkreisen und sich wie ein TikTok-Albtraum anfühlen.


Ein gutes Beispiel dafür ist die Serie von Gemälden, die Fabian Marti mit Hilfe von KI erstellt hat, indem er Eingabeaufforderungen wie ein grünes Gemälde von Francis Picabia mit einem weißen Pudel, der mit einem gelben Oktopus spielt“ schickte; oder Roee Rosens Video The Dust Channel (2016), eine Mini-Operette mit einem Libretto in russischer Sprache, in der es um eine ménage à trois zwischen einem bürgerlichen Paar und einem britischen Haushaltsgerät, einem Dyson DC07-Staubsauger, geht, die in einer israelischen Realität voller privater Perversionen und soziopolitischer Phobien angesiedelt ist.


Yun Choi nimmt uns in ihrer Videoarbeit Where the Heart Goes (2022) mit in eine Welt, die einer physischen Entsprechung des Netzes ähnelt. Wir sehen in extrem schnellen Schnitten durch teils zuckerbunte Landschaften und Innenräume, in denen Figuren in wilden Kostümen agieren und auf eine Stimme reagieren, die in einem potenziellen Außen liegt oder als deus ex machina gelesen werden. Die Figuren reagieren auf die Reize wie Zellen, die anfangen Botenstoffe im Körper zu transportieren, um den Organismus auf die wichtigen News“ oder das tägliche Glück“ einzustimmen oder vorzubereiten. Die gesamte Arbeit ist extrem wild und zumindest von ihrer Machart her tief mit Auswüchsen des Web 2.0 verwandt. Auch in Psychics A sehen wir eine Figur, die zumindest menschliche Proportionen und Gesicht aufweist, während der restliche dünne Körper aus einer Mischung aus organischen Schläuchen oder Kabeln zu bestehen scheint und der gesamten Figur eine Science-Fiction-artige Anmutung verleiht.


Henrike Naumanns primäres Medium sind Installationen, die aus gefundenen Möbeln entwickelt werden und gelegentlich Videoarbeiten enthalten oder Kunstwerke anderer Künstler*innen einbeziehen. Alle Arbeiten verbindet, dass sie Designs aus bestimmten Zeiträumen zusammenbringen, wie zum Beispiel die 1990er-Jahre als Nachwendezeit in Deutschland, die durch ostdeutsche Wohnzimmer oder, wie in Die Monotonie des Yeah, Yeah, Yeah (Eastie Girls), durch einen brandenburgischen Schuhladen repräsentiert wird. Der Arbeitsansatz ließe sich als eine Art alltägliche Archäologie einer jüngst vergangenen, teils selbst erlebten Gegenwart beschreiben. Nicht nur in den kleinen Rahmen aus Plastikknochen finden sich Referenzen zur Urgesellschaft – einer Theorie von Friedrich Engels –, sondern auch in der Videoarbeit, die Bestandteil der Installation ist und Ausschnitte aus der Cartoon-Serie Familie Feuerstein enthält. Diese Gleichzeitigkeit von allem und ihre Unmittelbarkeit sind wesentliche Bestandteile unserer digitalen Zeit. Gleichzeitig verweisen sie auf die Neuorientierung von Arbeit und gesellschaftlichen Werten nach dem Zusammenbruch der DDR.


Die beiden Stinktiere aus Skunks (1993), die mit ihrem Sockel fast überlebensgroß wirken, ähneln verkleideten Personen, die wir in Freizeitparks antreffen könnten, nur hier eben keine beliebten Comic-Figuren oder Prinzessinnen darstellen. Paul McCarthy hat inzwischen durch seinen derben Humor einen festen Platz in der Kunstgeschichte inne und taucht an verschiedenen Stellen in der Ausstellung auf. Die Arbeit Skunks ist zwar schon etwas älter als die digitale Sphäre in ihrer jetzigen Form, kommt aber trotzdem daher wie ein Dark Meme auf Reddit oder eine Beleidigung in einer Kommentarspalte. In jedem Fall enthält dieses Werk, wie viele andere seiner Arbeiten, eine gute Portion Provokation, die sich vor allem am Bild des Künstlers selbst und an künstlerischer Arbeit stößt und versucht, sie mit einer generationentypischen Wucht anzugreifen. McCarthy zählt zu einer der zentralen Figuren der Kunstszene der Westküste der USA und verbindet oft kindliche Popkultur mit Sex und Gewalt, was einer Art radikalen Desublimierung einer nach Profitinteressen organisierten, puritanisch-weißen, süßlich-saccharinen Disney-Kultur entspricht. So haftet seinen Arbeiten etwas Monströses an und lässt sie zugleich in düsterer Tonart Klischees des Kunstbetriebes überzeichnen.