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Camp

Shana Moulton, Untitled for Now Then, 2020

Persönliches Dampfsaunazelt, Projektionswand, Projektor, Holzarmatur, Perückenständer, Kunststoffhände, LED-Maske und Luftbefeuchter

Courtesy die Künstlerin und Crèvecœur, Paris, Foto: Aurélien Mole

Der Begriff der enthusiastischen Peinlichkeit weist viele Überschneidungen mit dem Begriff des Camp auf – der ästhetischen Sensibilität, die das Kitschige und den schlechten Geschmack“ zelebriert und eng mit der queeren Kultur verbunden, aber nicht mit ihr identisch ist. Der Künstler und Schriftsteller Philip Core formulierte es 1984 in seinem Buch Camp: The Lie That Tells the Truth folgendermaßen: Es gibt nur zwei Dinge, die für Camp wesentlich sind: ein Geheimnis in der Persönlichkeit, das man ironischerweise verbergen und ausnutzen möchte, und eine besondere Art, die Dinge zu sehen, zwar geprägt von spiritueller Isolation, aber doch stark genug, um sich anderen durch schöpferische Handlungen aufzudrängen.“ Diese schöpferischen Handlungen sind oft mit Begeisterung und Unbehagen verbunden, weil sie eine Zweideutigkeit gegenüber der Gesellschaft und der Kultur im Allgemeinen implizieren. Diese Zweideutigkeit entsteht, weil ein Phänomen – oft eines, das von anderen, nicht zuletzt von den privilegierteren und vermeintlich kultivierteren Positionen, belächelt, herabgesetzt oder stigmatisiert wird – mit Begeisterung angenommen und gefeiert wird. In diesem Kapitel werden zeitgenössische Werke vor einem orangenen bzw. silber-glitzernden Hintergrund präsentiert.


Shana Moulton arbeitet in verschiedenen Medien wie Video und Performance, aber als Erweiterung dessen auch immer wieder mit Installationen und Kostümen, die sich zu eigenen Arbeiten entwickeln oder Protagonisten ihrer Arbeiten sind. Die Ästhetik speist sich aus Momenten der Hippie-Kultur, der damit verbundenen Esoterik und Popkultur wie bspw. der Serie Twin Peaks von David Lynch. Ein Beispiel hierfür ist ihre aktuell zehnteilige Serie Whispering Pines. Untitled for Now Then (2020) bestehend aus einem Saunazelt mit beleuchteten Konturen einer Figur und einer kleinen Videoprojektion, die aus dem Inneren des Zeltes kommt. Auf dem Video sieht man die Künstlerin selbst bzw. ihr Alter Ego Cynthia, wobei die Übergänge fließend sind und es in dieser spezifischen Arbeit schwer ist, diese genau zu bestimmen. Vor einem Meereshintergrund, dessen Rauschen auch die Soundkulisse darstellt, wird die Kopfansicht der Künstlerin von zwei schwebenden birnenförmigen Gegenständen, gefüllt mit lilafarbener Flüssigkeit, massiert. Der dahingehauchte Titel ist, wie die ganze Arbeit selbst, von einer gewissen Selfcare-Ästhetik geprägt. After Meissen wiederum ist eine kleine Sammlung aus Objekten, die sich im Titel auf die berühmte Porzellanmanufaktur bezieht, tatsächlich aber aus alltäglichen Plastik-Dingen wie Massagehilfen bestehen. Sie stellen zugleich ein bestimmtes Ordnungssystem dar, das Moulton durch einen Job kennenlernte, in dem sie im Zuhause anderer Leute Ordnung und Struktur etablierte.


Die beiden Hexen Notburga und Walburga von Jakob Lena Knebl erinnern in ihrer Präsentationsform mit dem Teppich und den beiden Bäumen an eine Art Diorama oder eine Szene aus einer Geisterbahn. Aus der Auseinandersetzung mit Mode, den damit verbundenen gesellschaftlichen Normierungen und den identitätsstiftenden Funktionen kommend, beschäftigt sich die Bildhauerin in diesen Arbeiten mit einer extrem frühen Chiffre, die zur Diffamierung von weiblich gelesenen Personen genutzt wurde. Sie diente im ausgehenden Mittelalter und vor allem der frühen Neuzeit dazu, Frauen für rational nicht erklärbare Krisen verantwortlich zu machen. Aus heutiger Sicht erscheinen die Personen, die oft in den Fokus der Verfolgung gerieten, als Träger*innen bestimmten Wissens über heimische Pflanzen und ihren jeweiligen medizinischen Nutzen. Die beiden Arbeiten überzeichnen das Bild der Hexe und lassen von den Hakennasen über die langen Füße bis hin zum Besenritt kein Klischee aus, sodass wir das Stigma völlig überzeichnet sehen und durch die Übertreibung seine Lächerlichkeit preisgegeben wird. Dies ist eine Strategie, die eng mit Camp verbunden ist, da diese ursprünglichen Zuschreibungen natürlich auch aus einem Machtgefälle resultierten.