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Ursprünge, DADA

Nicole Eisenman, Artist’s Block, 2005

Öl auf Leinwand, 127105 cm

Courtesy Deichtorhallen Hamburg/​Sammlung Falckenberg

In Vergnügungsparks gab es auch immer wieder seltsame Kuriositätenkabinette. Dies ist hier natürlich nicht wörtlich zu verstehen – denn enthalten sind Werke von Pionier*innen des respektlosen Humors, die alles andere als bloß kurios“ sind: von Pieter Bruegel dem Älteren über Alfred Jarry bis Elsa von Freytag-Lohringhoven, die als Zeitgenossin und Weggefährtin von Marcel Duchamp einen maßgeblichen, wenn nicht sogar entscheidenden Anteil an der Erfindung des Readymade hatte. Aber auch Karikatur und Film spielen in diesem Kapitel eine Rolle. So können wir die Ursprünge der enthusiastischen Peinlichkeit in der Kunst zumindest skizzieren, die ihren ersten Höhepunkt in den Collagen, Performances und Wortspielen der internationalen DADA-Bewegung fand.


Mit dem Stich Drei Narren (1642) von Pieter Bruegel d. Ä. und der Maske vom Palais Pfeifersberg in Innsbrucknach Georg Anton Gumpp (1723) reichen die Linien, die die Ausstellung zieht, weit zurück in die niederländische Renaissance und den Barock, welcher als Epoche genommen ebenso eine Tendenz zum Gesamtkunstwerk formuliert wie später der Dadaismus, wenn auch ohne die kritischen gesellschaftlichen Implikationen. In beiden Arbeiten spielen das Groteske sowie die Maskierung eine zentrale Rolle. Das Motiv des Narren taucht in verschiedenen Variationen bei Bruegel immer wieder auf und fungiert als eine Art Scharnier zwischen einer Welt voller Lebensfreude und buntem Treiben auf der einen Seite und der verkehrten Welt als gottlose auf der anderen Seite – eine Dichotomie, die die Lebenswelt des Künstlers noch voll durchdrungen hat. Diesen Halbwelten haftet bis heute noch das Verruchte an, auch wenn sie den Aspekt des Unchristlichen im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts verloren.


Neben Erich Spiessbach sind auch mehrere Zeichnungen von Cora Spassvogel aus der Sammlung Prinzhorn Teil dieses Kapitels. Beide waren Patienten des Universitätsklinikums Heidelberg, wo der Kunsthistoriker und Arzt Hans Prinzhorn eine feste Sammlung der Arbeiten seiner Patient*innen anlegte, die als eine der starken Inspirationsquellen für den Surrealismus gilt. Die Freiheit, mit der Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen jenseits bürgerlicher Norm denken, sprechen, schreiben und auch zeichnen und malen ist für den Dadaismus ein flammendes Beispiel des menschlichen Schaffens. So entstehen der Wichser Paps (um 1971) oder Alte Frau Funtzel (um 1971) mit einfachem Filzstift auf Karton, der von Verpackungen stammt und vermutlich einfach im Moment der Inspiration zugegen war und zudem Auskunft über die Materialknappheit der Nachkriegsjahre gibt. Hier eine zeitliche Parallelität von Interesse. Auch wenn die Arbeiten der beiden gezeigten Künstler*innen jeweils aus den fünfziger bzw. siebziger Jahren stammen, so entsteht die Sammlung mehr oder weniger parallel zum Beginn des Dadaismus nach Ende des ersten Weltkrieges.


Eine zeitgenössische Arbeit, die sich in diesem Raum befindet, ist Artist’s Block (2005) von Nicole Eisenman. Drei Figuren stehen mit Pinseln in der Hand um einen aus Ziegel gemauerten Block, während sie vom Publikum beobachtet werden und sich der Raum langsam in Rauch hüllt, welcher aus einem Fabrikschlot aus dem Hintergrund kommt. In ihren Arbeiten spielt Eisenman über das Mittel der Aneignung und der Verzerrung immer wieder mit klassischen Motiven innerhalb der Kunstgeschichte. So auch hier: Die Szene referiert auf Motive aus Bruegels berühmtem Gemälde Die Niederländischen Sprichwörter (1559), etwa auf die Darstellung des Spruchs mit dem Kopf durch die Wand“, der hier aber auf die Vorstellung einer kreativen Blockade angewandt wird. Zudem ergibt sich eine Parallelität zur Dreier-Konstellation des Bruegelschen Narren-Blatts. Zugleich ist Artist’s Block ganz heutig: Die Kleidung der Künstler*innen mutet einfach an. Während die weibliche Figur in Kleid mit Haube gekleidet ist, trägt die rechte Figur scheinbar Turnschuhe der Firma Adidas. Sie alle scheinen resigniert aufgrund der Mauer, auf die sie in unterschiedliche Richtungen stoßen und bei ihrem Scheitern beobachtet werden – die künstlerische Blockade als schambehaftetes öffentliches Ereignis.